Die Akte Golgatha
heute auf morgen, fristlos. Es war meine Schuld. Ich habe einem Journalisten Auskunft über die Schulden eines prominenten Kunden gegeben. Die Sache flog auf, und ich wurde gefeuert. Jetzt werden Sie vielleicht begreifen, warum Sie aus mir nichts herausbekommen werden. Ich kann es mir einfach nicht leisten, noch einmal auf der Straße zu stehen. Ich habe für mich und zwei weitere Menschen zu sorgen.«
»Sie sind verheiratet?«
»Nein, das heißt ja, ach, ich will nicht darüber reden, verstehen Sie?«
»Ich verstehe.«
»Nichts verstehen Sie!« Francesca blickte zum ersten Mal verlegen drein: »Entschuldigen Sie, Signore, aber das ist ein Thema, über das ich nicht gerne rede.«
Gropius nickte. »Ich wollte sagen, ich verstehe das, mir geht es nicht anders.«
»Sind Sie verheiratet, Signore?«
»Nein, das heißt ja.« Er hob die Schultern.
Beide lachten. Aber in Francescas Lachen klang etwas Wehmut.
Der glatzköpfige Ober servierte Muscheln, und Francesca bewunderte das Geschick, mit dem Gropius den Schalentieren zu Leibe rückte. »Und Sie?«, fragte sie beiläufig. »Was machen Sie? Oder ist das ein Geheimnis?«
»Ich bin Chirurg am Klinikum in München. Ich verpflanze Organe, Herzen, Nieren, Lebern. Aber das ist vielleicht nicht das angemessene Gesprächsthema bei einem Essen wie diesem.«
»Aber nein, ich finde das hochinteressant!«, entgegnete Francesca. »Sie müssen mir über Ihre Arbeit erzählen, Professore!«
Eigentlich hatte Gropius gar nicht vorgehabt, von sich zu erzählen, doch die Stimmung in dieser kleinen Osteria lud dazu ein, sein Herz auszuschütten. Und ebenso die schöne Signora, die ihm aufmerksam zuhörte. Und so berichtete Gropius von seiner Arbeit, von dem mysteriösen Tod Schlesingers und seinen erfolglosen Bemühungen um eine Klärung des Falles, und dabei versetzte er Francesca in Erstaunen.
»Ich gebe zu«, meinte er, als er mit seiner Geschichte geendet hatte, »das klingt ziemlich unglaublich, aber es ist die Wahrheit. Ohne es zu wollen, bin ich in eine Sache hineingeraten, aus der ich nur schwer wieder herauskomme, es sei denn, ich finde eine Erklärung für alles. Dabei bin ich Chirurg und kein Geheimagent.« Er schüttelte den Kopf und wirkte etwas hilflos.
Während sich die Osteria allmählich füllte – offensichtlich hatte das Lokal einen guten Ruf –, musterte Francesca den Professore, als zweifle sie noch an seiner Geschichte. Gropius fing ihren kritischen Blick auf und wiederholte seine Beteuerung: »Es ist die Wahrheit.«
Nachdenklich aß die Signora an ihren Muscheln. Fasziniert beobachtete Gregor, wie sie die gelbbraunen Schalentiere mit ihren Lippen in den Mund sog. Dass eine Muscheln essende Frau so erotisch wirken konnte, hätte er nie für möglich gehalten. »Und Sie glauben, dass die Kassette, die ich in de Lucas Auftrag nach Berlin gebracht habe, mit Ihrem Fall in Zusammenhang steht?«, fragte sie jetzt und setzte ihr Weinglas an die Lippen.
Gropius ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Frau, die ihm gegenübersaß, plötzlich wichtiger erschien als der Grund, der sie zusammengeführt hatte. Er merkte, dass seine Fantasie sich selbstständig machte; doch die Aussicht, diese kühle Schönheit aufzutauen, war ebenso wenig vielversprechend, wie der Versuch, die Arktis mit einem Kaminfeuer zum Schmelzen zu bringen. Deshalb beantwortete er höflich ihre Frage: »Mir bleibt nichts anderes übrig, als daran zu glauben. Ich muss jeder Spur nachgehen.«
»Aber Professore, ist das nicht Aufgabe der Polizei?«
»Natürlich, aber wenn ich der Polizei das Feld überlasse, bin ich pensionsberechtigt, bevor der Fall gelöst ist. Das ist bei uns nicht anders als in Italien. Die Polizei hat eine Sonderkommission eingesetzt, die mit Vorliebe Akten studiert, und der zuständige Staatsanwalt ist in der Hauptsache damit beschäftigt, die Tage bis zu seinem Vorruhestand zu addieren. Er ist ungefähr dreißig. Ich habe Angst, meinen Job zu verlieren und meine Professur dazu, wenn ich nicht den Nachweis erbringe, dass das Organisierte Verbrechen für Schlesingers Tod verantwortlich ist.«
Francesca beugte sich über den Tisch und näherte sich Gropius auf wenige Zentimeter. »Es ist gut, dass Sie das Wort nicht ausgesprochen haben, Professore. Niemand wagt es, es auch nur in den Mund zu nehmen – es sei denn, er gehört dazu.«
Gropius verstand, was sie meinte, und nickte.
Sie lächelte. Dann senkte sie ihre Stimme: »Luciano de Luca leitet ein
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