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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Forschungsinstitut am anderen Flussufer. Er ist ein freundlicher, dicklicher Herr mit schütterem Haar. De Luca trägt eine schwarze Brille mit sehr starken Gläsern, die seine Augen klein erscheinen lassen wie Schweinsäuglein – ein netter, umgänglicher, älterer Herr. Das Institut liegt in einer Seitenstraße des Corso Chieri. Hier ist seine Telefonnummer. Wenn Sie mich verraten, habe ich übermorgen keinen Job mehr.«
    Damit schob sie Gropius eine Visitenkarte über den Tisch.
    Verblüfft ergriff der Professor Francescas Hand und küsste sie. Diese Frau war ein einziges Rätsel, und ihr Verhalten versetzte ihn in Erstaunen. Er nahm die Visitenkarte und steckte sie in sein Jackett.
    »Aber fragen Sie mich bitte nicht nach dem Inhalt der Kassette«, meinte Francesca, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. »Ich weiß es wirklich nicht.« Und als sie Gregors ungläubiges Schmunzeln bemerkte, fügte sie hinzu: »Ich hatte im vergangenen Jahr den Auftrag, eine ähnliche Kassette von Milano nach London zu bringen. Den Inhalt kannte ich nicht, nur den Versicherungswert: eine halbe Million. Der Empfänger war das Auktionshaus Sotheby's. Einen Monat später las ich in der Zeitung, was ich transportiert hatte: einen alten Briefumschlag mit einer Blauen Mauritius. Er wurde für eine Million versteigert, eine Million Pfund. Mir wird noch heute schwindlig bei dem Gedanken.«
    Unter dem Tisch schob Gregor sein Bein zwischen die ihren. Egal, wenn sie dir jetzt eine Ohrfeige verabreicht, dachte er und sah sie herausfordernd an.
    Francesca bemerkte seine Unverschämtheit sehr wohl, trotzdem ließ sie sich in keiner Weise aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, sie sagte mit einem Gesichtsausdruck, der schwer zu deuten war: »Signor Gropius, wollen Sie mich nach Hause begleiten?«
    Das klang so, als wollte sie sagen: Jetzt ist aber Schluss, lass uns gehen! Genauso gut aber konnte es heißen: Komm, gehen wir einfach zu mir! Seine Antwort fiel deshalb genauso interpretationsbedürftig aus. »Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, Signora!«
    Mit diesen Worten winkte er den Ober herbei und beglich die Rechnung. Während sie dem Ausgang zustrebten, der nach oben führte, bemerkte Francesca: »Das Ambiente meiner Wohnung darf Sie nicht stören. Sicher sind Sie Besseres gewöhnt. Wohnungen in Turin sind teuer, und wie ich schon sagte, habe ich nicht nur für mich zu sorgen. Aber jetzt schläft meine Mutter schon. Es ist übrigens nicht weit von hier, nur zwei Straßen entfernt.«
    Auf dem Corso Lombardia herrschte um diese Zeit, kurz vor zehn, reger Verkehr. Wie selbstverständlich hakte sich Francesca bei Gropius unter. Es war kühl geworden, und sie fröstelten. An der Einmündung einer schmalen Seitenstraße zog Francesca Gregor nach rechts und mit einem Fingerzeig auf ein altes Gebäude mit sieben Stockwerken meinte sie: »Wir sind da. Kommen Sie!«
    Das Treppenhaus war mit kobaltblauen Kacheln gefliest und hallte wie eine Kirche. In der Mitte des Aufgangs gab es einen Lift, einen eisernen Käfig, bespannt mit Maschendraht. Der Lärm, den das Öffnen der Tür, ein eisernes Scherengitter, verursachte, hallte durch das Treppenhaus. Francesca drückte den Knopf zum fünften Stock und lächelte Gropius zu. Der empfand ihre Geste als Einladung und trat so nahe an sie heran, dass er ihren warmen Körper spürte. Francesca drehte den Kopf zur Seite, ließ Gregor aber gewähren.
    »Sie machen mich verrückt, Francesca«, murmelte Gropius.
    Francesca reagierte nicht. Sie sagte nur: »Darf ich bitten!« Und mit einem heftigen Ruck schob sie das Scherengitter des Aufzugs beiseite.
    Ein spärlich beleuchteter, langer Gang führte zu einer weiß gestrichenen Wohnungstür, und mit einer stummen Geste forderte Francesca Gropius auf einzutreten. »Mama?«, rief sie leise fragend, und an Gropius gewandt sagte sie: »Um diese Zeit ist sie selten noch wach. Nehmen Sie Platz!«
    Das Wohnzimmer hatte nur ein Fenster, aber vier Türen, zwei auf jeder Seite, und bot deshalb wenig Platz für Möbel. In der Mitte des Raumes standen sich zwei moderne Sofas gegenüber, dazwischen ein niedriger Tisch mit einer Glasplatte.
    »Sie sagten, Sie lebten zu dritt in der Wohnung«, bemerkte Gropius in die Stille, die im Zimmer herrschte.
    »Ja«, erwiderte Francesca, »meine Mutter, ich und mein Mann.«
    Unmerklich zuckte Gropius zusammen; dann meinte er entschuldigend: »Ich dachte, Sie …«
    »Was dachten Sie, Professore?« Sie trat auf Gropius zu, und

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