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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Signora Colella war der einzige Mensch in dieser fremden Stadt, der ihm weiterhelfen konnte. Er musste sie zum Reden bringen. Und er wusste auch schon, wie. Aus dem Telefonbuch kannte er die Adresse von VIGILANZA Art Logistics, Via Foligno, im Nordwesten der Stadt.
    Die Firma, ein unscheinbarer Bau aus den sechziger Jahren, dessen Eingangsportal von deutlich sichtbaren Videokameras überwacht wurde, wirkte von außen so seriös und langweilig wie ein Pfarrhaus. Nur die weiße Neonbeleuchtung hinter den breiten Glasfenstern deutete auf eine gewisse Geschäftigkeit hin. Wie von Geisterhand betätigt schwang die undurchsichtige Glastüre zur Seite, als Gropius sich dem Eingang näherte. Im Innern eine geräumige Empfangshalle, der Boden in schachbrettartigem Marmor, an der rechten Seite ein Empfangstresen mit sechs bis acht Bildschirmen. Eine äußerst korrekt gekleidete Empfangsdame mit schwarzem Seidentuch im Ausschnitt ihres roten Blazers fragte Gropius, was sie für ihn tun könne.
    Der Professor nannte seinen Namen und bat darum, Signora Colella zu sprechen. Man wies ihm einen Platz auf der Ledercouch zu, die links, gegenüber dem Tresen stand.
    Es dauerte kaum zwei Minuten, als Francesca Colella auf der weißen Marmortreppe erschien. Mit strengem Blick und gedämpfter Stimme redete sie auf Gropius ein: »Ich bitte Sie inständig, mich hier nicht weiter zu belästigen. Sie bringen mich wirklich in allergrößte Schwierigkeiten!« Dabei reichte sie Gropius einen Zettel mit einem Namen und einer Adresse. Gropius glaubte zunächst, es handle sich um de Lucas Anschrift. Erst als Francesca sich umwandte und im Gehen sagte: »Um 19 Uhr!«, erkannte Gregor den Namen eines Lokals: ›Osteria Tre Fontane‹, Corso Lombardia. Verblüfft blickte er der Signora nach, die auf dem oberen Treppenabsatz verschwand.
    Die Straße mit dem hochtrabenden Namen Corso Lombardia wirkte in der Dunkelheit wenig einladend, und das Lokal, im Souterrain eines Eckhauses gelegen, machte, bevor man es betrat, auch nicht den besten Eindruck. Umso mehr überraschte Gropius die gediegene Einrichtung, holzgetäfelte Wände und Mobiliar im ländlichen Stil, nicht ohne Geschmack.
    Gropius betrat die Osteria mit gemischten Gefühlen, das geplatzte Rendezvous in der Berliner Friedrichstraße war ihm noch allzu gut im Gedächtnis. Doch diesmal versetzte ihn Francesca in Erstaunen, sie war schon da, und sie schien wie ausgewechselt, gelöst, beinahe heiter.
    »Wenn ich ehrlich sein soll«, begann Gropius das Gespräch, »ich war mir keineswegs sicher, ob Sie kommen würden. Nach den Erfahrungen, die ich in Berlin gemacht habe …«
    Francesca blickte zur Seite, so als wäre ihr der Hinweis peinlich, dann sagte sie mit einem hintergründigen Schmunzeln: »In Berlin habe ich mich aus rein geschäftlichen Gründen verweigert, hier bin ich privat. Das möchte ich von vornherein klarstellen. Außerdem kam Ihr Besuch in der Firma einer Erpressung gleich.«
    »Tut mir Leid, wenn Sie das so gesehen haben; immerhin war ich erfolgreich!«
    »Wenn Sie es als Erfolg bezeichnen, mit mir Muscheln zu essen – übrigens, Sie sollten unbedingt die Muscheln probieren, sind Sie wohl leicht zufrieden zu stellen. Aber wie ich weiß, kommen Sie nicht ohne Hintergedanken. Allerdings muss ich Sie gleich zu Beginn enttäuschen. Von mir werden Sie die Adresse de Lucas nicht erfahren.«
    »Dann wird es eben nur ein schöner Abend«, entgegnete Gropius charmant, auch wenn er keineswegs vorhatte, seine Absicht, der Signora die gewünschte Auskunft zu entlocken, aufzugeben. Francesca zeigte sich verwundert. Ein Ober mit kahl geschorenem Schädel nahm die Bestellung auf. Sie tranken weißen Soave.
    »Sie müssen das verstehen«, nahm Francesca den Faden wieder auf, »ich brauche meinen Job und bin froh, dass ich ihn habe. Ich musste lange dafür kämpfen. Früher machte ich etwas ganz anderes.«
    Gropius wagte nicht zu fragen. Er musterte sein Gegenüber mit Wohlgefallen. Francesca trug eine Jacke aus grünem weichem Leder auf der nackten Haut, und damit erübrigte sich die Frage, die er sich bei ihrer ersten Begegnung in Berlin gestellt hatte, ob ein Schulterhalfter oder eine Pistole oder beides für die unübersehbaren Ausbuchtungen verantwortlich war.
    »Ich war Bankerin«, bemerkte die Signora, als hätte Gropius sich nach ihrem Vorleben erkundigt.
    »Und das war Ihnen zu langweilig!«
    »Keineswegs.« Francesca hielt inne, dann, fuhr sie fort: »Man hat mich rausgeworfen, von

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