Die Akte Golgatha
vorübergehend einige Akten beschlagnahmt, sie aber bald wieder zurückgebracht. Vermutlich sagten ihnen die archäologischen Begriffe wenig.«
Hier und da zog Rauthmann eine Akte hervor, blätterte in den Unterlagen und nickte anerkennend mit dem Kopf, um sie wieder an ihren Ort zurückzulegen. Gropius fiel auf, dass Rauthmann Felicias Aussage, die Polizei habe Akten beschlagnahmt, ohne Gegenfrage zur Kenntnis nahm. Er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und interessierte sich scheinbar wahllos für das eine wie das andere, wobei er eine Lesebrille benutzte, deren Gläser seine Augen vergrößerten wie die einer Eule.
»Sie nehmen doch einen Kaffee mit uns?«, fragte Felicia, und ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie aus dem Raum.
»Tragisch, dass Schlesinger so enden musste«, bemerkte Rauthmann, als sie allein waren.
Gropius rätselte, ob der Besucher wusste, in welcher Beziehung er zu Schlesinger gestanden hatte. Er ließ den Satz ohne jede Stellungnahme im Raum stehen. Stattdessen erkundigte er sich ganz nebenbei: »Darf ich fragen, ob Sie nach etwas Bestimmtem suchen?«
»Ja gewiss«, erwiderte Rauthmann, ohne von seiner Arbeit abzulassen, »es ist das Lebenswerk eines bedeutsamen Forschers, an dem unser Institut interessiert ist.« Und nach kurzem Nachdenken: »Könnten Sie nicht für uns ein gutes Wort einlegen? Wenn Frau Schlesinger sich bereit erklärte, den wissenschaftlichen Nachlass ihres Mannes in eine Stiftung einzubringen, hätte das für sie nicht unerhebliche Steuervorteile!«
»Ich verstehe!«, antwortete Gropius, ohne wirklich zu begreifen, was Rauthmann meinte. »Ich will sehen, was ich für Sie tun kann. Aber gestatten Sie mir eine Frage, dieser französische Archäologe …«
»Contenau. Pierre Contenau!«
»… dieser Contenau, halten Sie es für möglich, dass der Näheres über die Umstände des vermeintlichen Anschlags auf Schlesinger weiß?«
»Ich glaube, ja«, erwiderte Rauthmann, ohne zu zögern. »Nur hatte ich den Eindruck, dass er nicht bereit ist, etwas preiszugeben. Contenau erging sich nur in Andeutungen, die mich, ehrlich gesagt, nicht weiter interessierten. Ein etwas eigenartiger Mensch, dieser Contenau, wie alle Archäologen.«
»Und wo lebt dieser Contenau?«
»Soweit mir bekannt ist, die Hälfte des Jahres in Jerusalem, den Sommer verbringt er regelmäßig bei Frau und Tochter in Paris – beneidenswert.«
»Und Sie? Verzeihen Sie meine Neugierde.«
»Ich bin mit der Wissenschaft verheiratet – falls Sie das meinen. Die nimmt mich total in Beschlag. Leider fehlen unserem Institut die Mittel für Grabungskampagnen im Ausland, sodass sich meine Forschungen auf ein Terrain von ein mal zwei Meter beschränken – meinen Schreibtisch!« Er lachte etwas wehmütig.
Felicia kam mit dem Kaffee, und Rauthmann stellte seine Arbeit ein. An Felicia gewandt, sagte er: »Ihr Mann hat nicht unbedeutende Forschungen hinterlassen. Wenn Sie gestatten, wird Ihnen unser Institut in den nächsten Tagen ein schriftliches Angebot unterbreiten, wie und unter welchen Umständen dieser Nachlass in eine Stiftung eingebracht werden könnte. Diese Form hätte für Sie den Vorteil, dass der Name Arno Schlesinger gebührend gewürdigt wird, zum anderen könnten Sie daraus über Jahre hinweg Steuervorteile ziehen. Sie müssen sich keineswegs gleich entscheiden.«
»Wie fandest du ihn?«, fragte Felicia Gregor, nachdem der Besucher gegangen war.
»Schwer zu sagen«, entgegnete Gropius. »Anfangs machte er auf mich einen etwas zwielichtigen Eindruck, als wüsste er nicht so recht, was er eigentlich wollte.«
»Und jetzt?«
Gropius hob die Schultern. »Im Gespräch wirkte er durchaus glaubhaft. Rauthmann hat Recht, in diesen Akten steckt die Arbeit eines halben Lebens, und offenbar war Schlesinger wirklich ein sehr anerkannter Wissenschaftler.«
»Er war ein Schwein!«
»Das eine schließt das andere nicht aus. Auch Schliemann war ein mieser Charakter, aber ein genialer Archäologe. Napoleon war menschlich ein Schwein, trotzdem ein großer Feldherr. Oder Klaus Kinski, war er nicht ein Ekel und trotzdem ein überragender Schauspieler?«
Mit verschränkten Armen blickte Felicia aus dem Fenster. Leise sagte sie: »Welchen Grund hatte Arno, zu verschweigen, dass es ein gezielter Bombenanschlag war und kein Unfall?«
Gropius trat neben sie hin und legte ihr den Arm auf die Schulter: »Wenn wir das wüssten, wären wir einen großen Schritt weiter.«
Kurz vor 22 Uhr kehrte
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