Die Akte Golgatha
Wäre es denn möglich, einmal einen Blick auf den wissenschaftlichen Nachlass Ihres Mannes zu werfen?«
Der fremde Anrufer schürte ihr Misstrauen, gleichzeitig machte er sie aber auch neugierig. Es schien, als wüsste dieser Dr. Rauthmann mehr über Schlesingers Arbeit, als sie ahnte.
»Ja, natürlich«, antwortete Felicia, »nennen Sie mir einen Termin.«
»Wie wäre es mit morgen, 14 Uhr?«
»Morgen?«, fragte Felicia verblüfft zurück.
»Ich habe zufällig morgen in München zu tun. Die Gelegenheit wäre günstig. Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten, sondern mir nur einen ersten Überblick verschaffen. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Mann eine nicht unerhebliche Menge von Dokumentationsmaterial hinterlassen hat. Also dann bis morgen. Und vielen Dank für Ihr Entgegenkommen!«
Kaum hatte sie aufgelegt, da überkamen sie Zweifel, ob sie diesem Dr. Rauthmann trauen konnte. Von der Auskunft besorgte sich Felicia die Nummer des Archäologischen Instituts in Berlin. Sie wählte die Nummer und verlangte Dr. Rauthmann zu sprechen. Als er sich meldete, legte sie auf. Dann rief sie Gropius an.
»Wie geht es dir? Was gibt es Neues?«, erkundigte sich Gropius, als er Felicias Stimme hörte.
»Eine ganze Menge!«, entgegnete Felicia. »Schlesinger war ein Schwein.«
»Um Gottes willen, was ist passiert?« Gropius hörte durch das Telefon, dass sie mit den Tränen kämpfte.
»Er hatte ein Verhältnis mit einer israelischen Schlampe!«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe seine Kleidung in Kisten verpackt, und ausgerechnet in dem Anzug, den er bei unserer Heirat in Las Vegas trug, fand ich einen Liebesbrief von einer gewissen Sheba Yadin: Mein über alles geliebter Maulwurf! Wie albern!«
»Das tut mir Leid«, erwiderte Gropius.
»Muss es nicht!«, gab Felicia zurück. »Wenn es überhaupt noch einen Grund gegeben hätte, Arno zu betrauern, dann hat er den verwirkt. Er hat mich betrogen nach Strich und Faden, und ich dummes Luder habe diesem Mann vertraut. Wie konnte ich so naiv sein!«
»Wie kann ich dich trösten?«, fragte Gropius zärtlich.
»Komm zu mir und bleibe über Nacht. Es wäre mir lieb, wenn du morgen hier sein könntest. Ein Forscher aus Berlin hat seinen Besuch angekündigt. Er hat Interesse an Arnos wissenschaftlichem Nachlass. Sein Name ist Dr. Rauthmann. Ich habe mich erkundigt: Den Mann gibt es wirklich. Trotzdem ist er mir nicht ganz geheuer, obwohl er sehr viel über Arnos Arbeit weiß.«
»Ich komme«, erwiderte Gropius.
Als Gropius am nächsten Morgen in Felicias Bett aufwachte, brauchte er einige Sekunden, um sich zu erinnern, wo er war. Dann lächelte er. Es war lange her, seit er zum letzten Mal im Bett einer fremden Frau aufgewacht war. Aus der Küche drang von weit her leise das Zischen der Kaffeemaschine, und ein angenehmer Duft von getoastetem Brot wehte herüber. Gregor fühlte sich wohl wie lange nicht. Das Schicksal hatte ihn mit Felicia unter misslichen Umständen zusammengeführt. Aber nun schien es auf einmal, als könnten beide der Situation etwas Positives abgewinnen.
Der Blick über die Terrasse auf das jenseitige Ufer des Tegernsees war fantastisch. Die Morgensonne stand tief und warf ihre Strahlen durch die entlaubten Bäume auf die Berghänge. Es war kalt, aber es gab kaum Schnee in diesem Jahr; doch das störte weder Gregor noch Felicia. Für Wintersport hatten beide nichts übrig.
Mit einem Tablett so groß, dass sie es kaum fassen konnte, und in bester Laune erschien Felicia in einem weißen T-Shirt im Schlafzimmer. »Guten Morgen, die Hoteldirektion erlaubt sich, Ihnen das Frühstück samt Zimmermädchen zu servieren!«
Gropius musste lachen. Erst jetzt bemerkte er, dass Felicia unter dem Tablett nichts anhatte.
»Die Adresse sollte ich mir merken«, gab Gropius scherzhaft zurück und sah zu, wie Felicia das Tablett auf einem Beistelltisch abstellte. Übermütig streckte er die Hand nach ihr aus; aber Felicia wehrte ab mit den Worten: »Dem Personal dieses Hotels sind private Kontakte mit den Gästen streng untersagt.«
Gropius und Felicia frühstückten im Bett. Eigentlich hasste Gropius es, im Bett zu frühstücken, wegen der Krümel. Aber mit Felicia war alles anders. Ihm kam es vor, als führte er ein neues Leben. In solchen Augenblicken versuchte er die Vergangenheit zu vergessen; aber das gelang nur für Minuten. Dann kehrten die quälenden Fragen zurück, die ihn seit Wochen verfolgten und für die es keine Antwort gab. Dann starrte er, so
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