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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wie jetzt, ausdruckslos vor sich hin und versuchte seine Gedanken zu ordnen.
    »Woran denkst du?«, fragte Felicia, die ihn seit geraumer Zeit schweigend beobachtete.
    Unmerklich zuckte Gregor zusammen. Er fühlte sich ertappt. Da saß er mit einer wunderbaren, halb nackten Frau im Bett, genoss ein opulentes Frühstück, die märchenhafte Aussicht auf den Tegernsee, aber in Gedanken war er weit weg – in Turin.
    »Mir geht der Tod de Lucas nicht aus dem Kopf«, antwortete Gregor, ohne Felicia anzusehen. »Ich hätte schwören können, dass er zur ehrenwerten Gesellschaft gehört, jedenfalls sprachen alle Anzeichen dafür, und jetzt ist er selbst elend zu Tode gekommen. Was läuft da? Ich begreife es nicht!«
    »Vielleicht gab es Differenzen unter den feinen Herrn, Streit oder einfach Meinungsverschiedenheiten. Es ist ja bekannt, dass diese Leute nicht lange fackeln.«
    »Mag sein, aber in solchen Fällen pflegen Menschen ohne Aufsehen spurlos zu verschwinden. Man hört nie wieder etwas von ihnen. De Lucas Tod war spektakulär. Nicht von ungefähr berichteten alle Zeitungen über den Mord. Ich bin überzeugt, de Lucas Tod sollte ein Zeichen setzen.«
    »Für wen?«
    Gropius sah Felicia in die Augen. »Vielleicht für mich. Es wäre ja nicht die erste Warnung.«
    Ängstlich, so als wollte sie ihn beschützen, nahm Felicia Gregors Rechte in beide Hände. »Wie lange willst du eigentlich noch weitermachen? Manchmal habe ich den Eindruck, du bist davon besessen, dich selbst zu zerstören. Warum gibst du nicht auf und überlässt alles Weitere der Polizei?«
    »Der Polizei?« Gropius lachte verbittert. »Du siehst doch selbst, wie weit die Polizei bisher gekommen ist. Für die bin ich immer noch einer der Hauptverdächtigen. Ich säße längst hinter Gittern, wenn sie auch nur den geringsten Beweis hätten. Ich habe den Eindruck, bei der Polizei spielt man auf Zeit. Man hofft auf Kommissar Zufall, der die Hälfte aller Fälle löst. Doch bis es soweit ist, ist meine Karriere zerstört, und ich kann wie manch anderer Mediziner, der schon bessere Tage gesehen hat, als Pharmavertreter gehen und Landärzten die Vorteile eines neuen Abführmittels von Bayer oder Schering aufschwatzen.«
    »Wenn du erst einmal als Leiche aus dem Fluss gezogen wirst wie de Luca, kannst du nicht einmal mehr das«, wandte Felicia ein. »Bitte – sei doch vernünftig!«
    »Aber, Felicia, diese Leute hätten mich schon zehnmal töten können, sie haben es nicht getan. Warum? Weil sie mich brauchen. Aus irgendeinem Grund bin ich ihnen lebend wichtiger als tot!«
    »Das klingt ja sehr ermutigend!«
    Gropius hob die Schultern und blickte aus dem Fenster über den See. »Sie hätten mich schon zehnmal töten können«, wiederholte er gedankenverloren.
    Dr. Rauthmann kam pünktlich wie vereinbart um 14 Uhr. Korrekt wie seine Umgangsformen war auch seine Kleidung: grauer Anzug, weißes Hemd und – welch ein Übermut – rotschwarz gestreifte Krawatte. Sein dunkles Kraushaar und der buschige Schnurrbart ließen ihn älter erscheinen, als er vermutlich war. Felicia schätzte ihn auf Mitte vierzig.
    Mit einer angedeuteten Verbeugung überreichte er seine Visitenkarte, und Felicia stellte Gropius als einen Freund des Hauses vor, der ihr bei der Bewältigung der Aufgaben, die in Verbindung mit dem Tod ihres Mannes auf sie zukämen, behilflich sei.
    Rauthmann wiederholte seine Entschuldigung, die er bereits am Telefon geäußert hatte, weil er so früh nach dem Ableben Arno Schlesingers vorstellig wurde. »Aber«, meinte er mit ernstem Gesicht, »das wissenschaftliche Material, das Ihr Herr Gemahl hinterlassen hat, ist für die Forschung zu bedeutsam, als dass man es anderen überlassen sollte. Übrigens ist unser Institut bereit und berechtigt, im Falle einer Schenkung oder Stiftung Spendenquittungen auszustellen.«
    Gregor und Felicia sahen sich verwundert an. »Augenblick mal«, wandte Gropius ein, »Sie wissen doch noch gar nicht, was Arno Schlesinger hinterlassen hat!«
    »Ich bitte Sie!« Rauthmann hob beide Hände. »Wir wissen, womit er sich beschäftigt hat. Und seine gelegentlichen Publikationen waren von außerordentlichem Interesse!«
    »Womit hat sich Schlesinger denn zuletzt beschäftigt?«, wollte Gropius wissen.
    Rauthmann gab sich zurückhaltend. Mit einem Schmunzeln, das weder Gropius noch Felicia zu deuten wussten, antwortete er: »Nun ja, Schlesinger widmete sich der Frühgeschichte des Nahen Ostens, aber einen Namen gemacht hat er

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