Die Akte Kachelmann
viele Menschen in Deutschland fest an die Unschuld des beliebten TV-Stars.»
Zu den vielen Menschen gehörte am Tag nach dem Ausbruch des Vulkans mit dem unaussprechlichen Namen auch Lena G. Noch. Denn sie wird den Ermittlern schon bald belastende Informationen zuspielen über den Mann, der jetzt noch ihr Herzallerliebster ist. Die Aschewolke wird dazu beitragen, dass sie in der «Bunten» unter anderem Pseudonym über ihre enttäuschte große Liebe erzählen wird. Mit Jetlag und traurigen Mandelaugen wird sie vom Illustrierten-Cover blicken, auf dem «Jetzt spricht die Ex-Freundin» steht und darunter «EXKLUSIV»: «Wir wollten heiraten.» – «Ich wusste nichts von seinen anderen Frauen.» – «Er hat mein Leben zerstört». «Heiraten», «andere Frauen», «Leben zerstört» sind fett gedruckt, obwohl zumindest das mit den Hochzeitsplänen so konkret nicht war. Als «mater dolorosa» habe sie sich inszeniert, wird die Verteidigung spotten.
Die 33-Jährige, die von der «Bunten» drei Jahre jünger gemacht wird, befindet sich gerade im Bad, als am 21. März 2010 das Telefon klingelt. So beschreibt die Frauenillustrierte all dies. Es ist 9.40 Uhr, früh für einen Sonntag. Am anderen Ende der Leitung ist ein Mann mit tiefer Stimme, der sich als Dr. Birkenstock und Rechtsanwalt von Jörg Kachelmann vorstellt. Das ist wieder mal einer dieser schrägen Scherze von Jörg, denkt sich Lena G., zumindest im ersten Augenblick. Doch dem Anrufer scheint es ernst zu sein. Ihr Partner, sagt er, stecke in großen Schwierigkeiten und befinde sich in Untersuchungshaft. Den Grund erfährt die Schockierte erst am nächsten Tag, dem Montag – aus den Medien.
Sie liest auch, was sich schon bald als Zeitungsente herausstellen wird: dass hinter der Anzeige vermutlich eine Stalkerin stehe, die Jörg Kachelmann längere Zeit verfolgt hat. Lena G. erinnert sich an eine Anfrage auf Facebook, die sie keine vier Monate zuvor erhalten hat. Den sonderbaren Dialog, der sich daraus ergab, hat sie nicht gelöscht. Die für den Fall Kachelmann zentrale elektronische Konversation wird hier – aus juristischen Gründen – nicht im Wortlaut, jedoch sinngemäß und gekürzt wiedergegeben. Sie trägt den Titel «Kanada-Connection». Lena G. sucht die Zeilen heraus und liest nochmals:
Hallo Lena,
Was für eine Überraschung! Kannst Du Dich an mich erinnern?
Wir lernten uns vergangenes Jahr im September kennen. Wie geht es Jörg und Dir? Frank und ich haben uns in der Zwischenzeit getrennt. Es ging einfach nicht mehr. Bei Euch alles o. k.?
Liebe Grüße
Chris
Als die Nachricht im Dezember 2009 einging, konnte sich Lena G. an keine Chris aus Kanada erinnern und an keinen Frank. Jörg Kachelmann, bei dem sie sich nach den beiden erkundigte, ebenso wenig. Die Frau, die ihr schrieb, war bei Facebook mit Christina Brandner eingetragen. Sie hatte, anders als die meisten Nutzer dessozialen Netzwerks, kein Bild von sich auf ihrem Profil hochgeladen.
Wer bei Google nach dem Namen Christina Brandner sucht, landet einige Treffer. Die Links führen zu Artikeln über die TV-Soap «Verbotene Liebe», doch das kann nicht die Gesuchte sein. Christina Brandner heißt in der Vorabendserie ein einjähriges Kind. Lenas Neugier war geweckt. Sie antwortete Chris, sie fürchte, ihre Erinnerung lasse sie wieder einmal im Stich. Sie fragte: Wo haben wir uns getroffen? Ohne Bild sei es schwierig. Keine zwei Stunden später kam die Antwort:
Ich habe ein Foto in mein Profil gestellt. Vielleicht hilft es beim Erinnern. Wir trafen uns bei Bridge Lake oder so an einer Tankstelle mit Laden, wenn ich mich richtig entsinne. Wir waren mit unserem knallroten Pickup da und mir war der Absatz abgebrochen. Warst Du wieder einmal da? Wie geht’s Jörg? Ich hoffe, Ihr seid happy zusammen! Ich schlage mich als Single durch. Ich musste Frank den Laufpass geben, nachdem ich dahinterkam, dass er mich betrog. So ist das Leben. So ’ne Scheiße. Aber ich habs schon fast verdaut …
Liebe Grüße
Sonja
17 Minuten vergingen, da schickte Christina Brandner eine Ergänzung. In diesen 17 Minuten musste der Puls der Verfasserin mächtig angestiegen sein.
Entschuldige, Lena, Du kennst mich natürlich unter Christina, Sonja ist mein erster Vorname. Aber den benutzt nur meine Familie. Mir gefällt er nicht. Aber vorher hat gerade meine Mutter angerufen, deshalb der Sonja-Wahn.
Klingt doof – und ist es auch:) Aber in meiner Familie sind alle ziemlich crazy.
Gruß Chris
Chris? Und
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