Die Akte Kachelmann
deswegen auch, weil diese Treffen – so schien es mir – auch von beiden Seiten durchaus in dieser Seltenheitokay waren.» Richter Reemen erkundigt sich, wie er Sonja A. kennengelernt habe. 1998 sei das gewesen «am Rande einer Fernsehsendung», lautet die Antwort, «meiner Erinnerung nach in Ludwigshafen». Die Beziehung habe sich auf ihre Initiative hin entwickelt. «Sie hat mir», sagt Jörg Kachelmann, «ihre Visitenkarte fast aufgedrängt.»
Am 11. September 1998 war der Fernsehmoderator von einer Praktikantin eines Mannheimer Technosenders befragt worden, der den Namen des Wetters trägt, das ihn anödet: Radio Sunshine. Ihm stand ein Karrierehöhepunkt bevor: In Ludwigshafen sollte er die legendäre Samstagabendshow «Einer wird gewinnen» moderieren. Damit scheiterte Jörg Kachelmann zwar. Das war im Nachhinein kein Drama. Die Beziehung jedoch, die sich damals anbahnte, wurde zu einem persönlichen 9/11 für Jörg Kachelmann und für Sonja A. Alles aus elf gemeinsamen Jahren wird umstritten sein – sogar, wie alles begann.
Sie wird der Polizei berichten, was er ihr erzählt habe, als das Aufnahmegerät ausgeschaltet war: Wie doof er «Einer wird gewinnen» fände. Lange habe er ihre Hand gehalten. Und im Weggehen habe er noch ihre Nummer gewollt. Drei, vier Tage später habe er angerufen. Am Wochenende kam er vorbei. Hand in Hand spazierten die 25-Jährige und der 40-Jährige durch den Schwetzinger Schlosspark. So schildert es Sonja A. Es kam zum ersten Kuss, es habe gleich gefunkt, für sie sei es die große Liebe gewesen. Alles war perfekt – nur dass er am ersten Abend, nach wenigen liebevollen Stunden, wieder wegmusste. Wie später so oft.
Psychologen, die sich mit dem Fall befasst haben und der Partnerschaft, die sich da anbahnte, sprechen von einer «Beziehungskollusion». Oft begegnen sich zwei Menschen, so hat es der Zürcher Paartherapeut Jürg Willi dargestellt, und passen zusammen wie Schlüssel und Schloss. Der eine Partner beherrscht, der andere gibt sich auf, zeigt sich unterwürfig. Zwei solche Menschen ergänzen sich gut – solange die Beziehung nicht aus dem Gleichgewicht gerät.
Meistens nimmt die Frau in einer solchen Konstellation den«komplementär narzisstischen» Part ein. Sie wirkt selbstlos, bescheiden, doch sie fühlt sich aufgewertet durch die Größe ihres Partners. Umgekehrt genießt der Mann die Anerkennung, das Überlegenheitsgefühl und die bedingungslose Unterstützung, die er erfährt.
Sonja A. wartet auf Jörg Kachelmann, der wenig Zeit für sie hat. Stetig reduziert sie ihre Arbeitszeit bei Radio Sunshine: Am Schluss arbeitet sie nur noch eine Woche im Monat, damit sie verfügbar ist, wenn er alle paar Wochen einmal einige wenige Stunden in Schwetzingen vorbeischauen kann und will. Gemeinsam unterhalten sie eine intensive Onlinefernbeziehung. Übers Internet entwickelt sich, was die Psychologie eine «Harmonieehe» nennt: ein Miteinander ohne Streitkultur, ohne kritische Auseinandersetzung, ohne gemeinsame Entwicklung, mit Träumen, die Schäume sind. Virtuell verspricht er ihr den etablierten Lebensentwurf. In den 1400 Chat-Protokollen, welche die Ermittler auswerten werden, ist die Rede von mehr Zeit zusammen, von einem gemeinsamen Zuhause und selten auch von einem Kind. Doch die glückliche Zukunft beginnt nie.
«Wir trafen uns entweder bei ihr in der Wohnung oder in einem Hotel», sagt Jörg Kachelmann aus. Er wisse nicht, ob Sonja A. weitere Beziehungen gehabt habe. Er sei ihr nicht treu gewesen. «Das ist sicher auch eine Stelle», findet der Beschuldigte, «wo ich sie um Verzeihung bitten muss dafür, dass ich sicher nicht in der gebotenen Klarheit ihr gesagt habe, dass ich eine weitere Perspektive nicht sehe.»
Sie wolle keine Blumen, erklärt Mutter A. am Telefon der Reporterin aus Zürich, sie wolle sich nicht mit ihr unterhalten. Das müsse sie doch verstehen.
Die Befragung im Amtsgericht wird für fünf Minuten unterbrochen. Danach sagt Jörg Kachelmann, er sei von seiner Exfrau schwer enttäuscht worden. Nach dieser Erfahrung habe er großes Misstrauen gehegt und Bestätigung gesucht. «Diese Suche nach Bestätigung», so räumt Kachelmann mit Blick auf sein Liebesleben ein,«habe ich sicherlich etwas ausführlicher gestaltet.» Jörg Kachelmann verstrickt sich bei Angaben zur Geburt seiner Kinder in Widersprüche, die hier nicht wiedergegeben werden können, weil sie seinen persönlichen Bereich betreffen. Staatsanwalt Oltrogge sieht zu viele
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