Die Akte Kachelmann
dann plötzlich Sonja? Und dann wieder Chris? Seltsam. Lena G. erscheint jetzt alles noch eigenartiger als vier Monate zuvor beim ersten Lesen. Das Foto hatte ihr damals nicht auf die Sprünge geholfen. Und etwas hatte Lena G. zusätzlich misstrauisch gemacht: Sie selbst hatte zwar ihr eigenes Porträt bei Facebook hochgeladen. Jeder, der wollte, konnte es ansehen. Doch auf dem kleinen Bild war sie kaum zu erkennen. Zumindest nicht für jemanden, der sie vor über einem Jahr nur ganz kurz an einer Tankstelle in Kanada gesehen haben will. Lena antwortete nicht mehr – vorerst wenigstens.
Das alles geht ihr jetzt erneut durch den Kopf, als ihr Partner unverschuldet, wie sie annimmt, in Untersuchungshaft sitzt. Das alles schildert sie Reinhard Birkenstock. Der Rechtsanwalt zeigt sich überaus interessiert an der «Kanada-Connection». Vor allem die Sache mit dem angeblichen zweiten Namen muss für ihn hochinteressant klingen. Lena G. leitet den Facebook-Dialog an die Kölner Kanzlei weiter. Nun kann auch Jörg Kachelmanns Verteidiger nachlesen, wie sich Chris alias Sonja damals, zwei Tage vor Heiligabend 2009, nach einer Woche Funkstille erneut meldete:
Hallo Lena,
Schade, dass ich keine Antwort bekam. Wie geht’s? Kannst Du Dich jetzt mit dem Foto an mich erinnern? Es verunsichert mich ein wenig, dass ich nichts mehr von Dir höre. Vielleicht habe ich Dich verwechselt. Bist Du denn nicht die Lena, die mit Jörg im September 2008 in British Columbia war? Dann schreib das doch schnell. Dann nerve ich Dich nicht weiter …
Vielen Dank und frohes Fest
Gruß Chris
Am 28. Dezember 2009 antwortete Lena G., sie erinnere sich immer noch nicht an die Begegnung. Sie sei aber gerade wieder an Weihnachten drüben gewesen. Dann wünschte sie noch alles Gute für 2010.
Sechs Tage nach der Festnahme von Jörg Kachelmann legt Rechtsanwalt Birkenstock den Strafverfolgern einen Ausdruck des Face-book-Chats zwischen Lena und Chris alias Sonja vor. Jetzt kann auch die Staatsanwaltschaft nachlesen, dass kurze Zeit später schon wieder eine Nachricht von Christina Brandner eintraf:
Hey Lena,
Schön, dass Du noch antworten konntest. Du bist an Weihnachten erneut in Kanada gewesen? Da beneide ich Dich. Es ist nicht weiter schlimm, dass Du Dich nicht mehr an mich erinnerst. War ja nur eine kurze Begegnung.
Ich erinnere mich noch so gut an Euch, weil Ihr, Jörg und Du, so ein schönes Paar gewesen seid. Bei Frank und mir war da bereits leichte Krise.
Bei dieser Gelegenheit, damit ich es nicht vergesse, kannst Du mir vielleicht die E-Mail-Adresse Deines Liebsten schicken? Mein Chef würde sich gern mit ihm geschäftlich in Verbindung setzen.
Danke vielmals, rutsch gut!
Chris
Diese schmeichlerische, sonderbare Botschaft machte Lena G. besonders stutzig. Sie vermutete die fingierte Anfrage eines Klatschjournalisten dahinter, der das Privatleben von ihrem Jörg und ihr auskundschaften wollte. Sie antwortete nicht. Zwölf Tage des neuen Jahres verstrichen. Da meldete sich Christina Brandner erneut:
Hallo Lena,
Verzeih mir, dass ich noch mal stresse. Du hättest mir doch sagen können, dass Jörg und Du Euch getrennt habt. Hätte ich das gewusst, hätte ich Dich in Ruhe gelassen mit Fragen nach E-Mail-Adressen usw.
Ein Freund hat Jörg vor Kurzem mit einer Neuen gesehen. Dass es mit Euch nicht geklappt hat, tut mir leid.
Beste Grüße, Chris
Die Ermittler kennen den Namen von Lena G. seit der Anzeige von Sonja A. Sie haben die Flugticket-Kopie von Spezialisten analysieren lassen. Das Resultat: Keine Fälschung. Jemand hat Originale der «Receipts On Behalf Of Lufthansa» vervielfältigt. Allerdings hatten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft die Betriebswirtin in Hamburg bislang vorgeladen. Lena G. hatte für sie keine Priorität. Das ändert sich schlagartig, als die Verteidigung den Chatverkehr und einen handgeschriebenen Brief von ihr vorlegt.
Auf den vier Seiten, die mit ihrem Plazet in der ersten Woche nach der Verhaftung in die Strafakte eingehen, beschreibt Lena die sonderbare Sache mit der Facebook-Korrespondenz und vor allem ihre Beziehung zu Jörg Kachelmann: Wie sie ihn 2003 während ihres Studentenjobs beim Mitteldeutschen Rundfunk kennen und lieben lernt. Wie er sich nach eineinhalb Jahren per E-Mail, überraschend, ohne Aussprache, von ihr trennt. Wie sie darunter leidet, als kaum mehr Kontakt besteht. Wie er, nach einer Unterbrechung, Anfang 2007 zum MDR zurückkehrt und bald auch zu ihr.
Um ihren Noch-Partner zu
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