Die Akte Kachelmann
Psychologiestudentin Marta G., die Jörg Kachelmann am Flughafen abgeholt hat. Deren Vernehmung endet am Montag, dem 29. März 2010, um 12.30 Uhr – genau eine Woche, nachdem die Verhaftung bekannt geworden ist. Marta G. sagt, sie sei mit Kachelmann nicht verwandt, nicht verlobt, aber sie sehe sich – unverändert – als feste Lebenspartnerin. Der 52-jährige Angeklagte wird lange lächeln, als die 27 Jahre Jüngere ein halbes Jahr später über den angejahrten blauen Spannteppich im Landgericht Mannheim schreitet. Die Frau mit den dunklen Locken und Augen wird elegant und für ihr Alter sehr ernsthaft wirken.
Bei der Polizei stellt sie den Mann, den sie noch vor der Urteilsverkündung ehelichen wird, als harmlos, charmant, fürsorglich dar. Sie verliert kein schlechtes Wort über ihren Zukünftigen. Die Ermittler in der Schwetzinger Polizeidienststelle fragen sie: Kennen Sie eine Frau, die Chris heißt? Nein, lautet die Antwort, der Name sage ihr nichts.
Nach der Befragung der künftigen Frau Kachelmann bleibt dem Kripo-Duo, wenn überhaupt, nur eine halbe Stunde Mittagspause. Dann steht die nächste Aussage an, die etwas ganz anderes ergeben wird. Es taucht eine großgewachsene Frau mit langen, blonden Haaren auf. Eliane V. ist eineinhalb Jahre jünger als die eben Vernommene. Eine «Selbstanbieterin» sei sie, wird die Verteidigung spötteln, weil sich die 23-Jährige – wie andere Expartnerinnen Kachelmanns – selbst bei der Polizei als Zeugin gemeldet hat. Am Telefon hat Eliane V. bereits erzählt, sie habe mit dem Wettermann vom November 2005 bis Juni 2006 eine Liaison gehabt. Sie sei gerade 18 Jahre alt geworden, so erklärt die Auszubildende jetzt, da habe sie Jörg Kachelmann über ihren Vater auf einer Party bei ihr zuhause im Saarland kennengelernt. Angeekelt und sauer sei sie nun, so führt sie weiter aus, weil sie erfahren habe, dass er – zur gleichen Zeit – auch mit Frauen in Schwetzingen, Kanada und vermutlich anderswo verkehrt sei.
Das klingt alles nach gekränkter Liebhaberin. Doch eine Episode, die gemäß der Zeugin zur Trennung vom Wetterunternehmer führte, weckt die Aufmerksamkeit der Ermittler. Sogar in die Anklageschrift wird sie eingehen. Nach der Vernehmung von Eliane V. fährt Kriminalhauptkommissar Horst D. erneut zu Sonja A. Er gibt ihr den Laptop samt Netzteil zurück. Die Daten von der Festplatte, auch aus dem gelöschten Bereich, hat die Polizei gespiegelt. Spezialisten machen sich an die Auswertung der Kopie.
Fünf Minuten nach seinem Kurzbesuch bei Sonja A. ruft Horst D. Lena G. an, um sie für den 1. April vorzuladen. Als die Zeugin aus Hamburg wie vereinbart drei Tage später bei der Schwetzinger Kripo auftaucht, ist sie keine Zeugin der Verteidigung mehr. «Gab es», will Richterin Bültmann am 34. Prozesstag von Lena G. wissen, «bis zu ihrer Vernehmung einen Sinneswandel?» Es wird eine rhetorische Frage sein. Die Vernehmung in Schwetzingen beginnt harmlos. Lena G. schildert, wie sie, die damalige Werkstudentin, Jörg Kachelmann im Januar 2003 in der Eingangshalle beim MDR in Leipzig kennenlernte. Es geschah, so sagt sie, an ihrem allerersten Arbeitstag als Gästebetreuerin für die Talksendung «Riverboat», die er damals moderierte. Er habe sie gefragt, ob sie mal seine Wetterfirma anschauenwolle. Bald habe sich Jörg Kachelmann selbst zum Kaffeekränzchen bei ihren Eltern eingeladen und habe statt Blumen etwa 90 Kinderüberraschungseier mitgebracht. Zwei, die gerne flirten, flirteten. Kaum war der Kaffee getrunken und er wieder weg, erhielt sie eine SMS, er habe sich in sie verliebt. Es ergab sich eine Beziehung, fast täglich elektronisch, per SMS, E-Mail, seltener real, bei ihr oder in Hotels. So erzählt sie das alles in der kleinen Schwetzinger Polizeidienststelle, so ähnlich wird es auch in der «Bunten» stehen. Sie habe versucht, in sein Leben reinzukommen, erfolglos.
Plötzlich, nach fast einem Jahr, sei eine E-Mail bei ihr eingegangen, Absender: «Patient». Jörg Kachelmann habe ihr darin mitgeteilt, sie könnten Weihnachten nicht zusammen verbringen, denn er müsse sich in den USA behandeln lassen. Jahre später habe er zugegeben, dass alles eine Lüge gewesen sei. Eine der Lügen, die Jörg Kachelmann als Beschuldigtem und Angeklagtem ernsthafte Probleme eintragen werden. Was an diesem Tag noch niemand weiß: Jörg Kachelmann hatte damals eine ähnliche E-Mail auch an Sonja A. gerichtet. Und er hatte über Jahre hinweg mehrere solche und ähnlich
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