Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
Vom Netzwerk:
deutschen Lieferanten einer Giftgasfabrik für den libyschen Diktator Muamar al-Ghadhafi hinter Gitter brachte. Das neueste Strafverfahren unter Aktenzeichen 404 Js 3608/10 übertrifft alles Bisherige – nicht nur, aber gerade in punkto mediales Interesse. Das kann Gattner als stellvertretender Pressesprecher seiner Behörde gut beurteilen. Seine Nebenrolle als Ansprechpartner der Medien wird er zwar im Fall Kachelmann selten ausüben, da er das Verfahren führt. Umso mehr spürt er den öffentlichen Druck.
    Jetzt braucht der 60-Jährige Zeit für sich. Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Seine Behörde muss sich fragen: Was bedeuten die neuesten Erkenntnisse über Sonja A.? Sind wir einer Lügnerin aufgesessen? Haben wir uns verrannt? Sitzt da einer wegen uns seit einem Monat unschuldig in der JVA Mannheim? Haben wir Jörg Kachelmann ohne jeden Anlass das Leben ruiniert?
    Die neuesten Erkenntnisse stammen von einem Informatiker der Polizeidirektion Heidelberg. Der IT-Spezialist, der früher fürs Bundeskriminalamt Verbrecher jagte, hat in den Tagen zuvor die gespiegelte Festplatte von Sonja A. durchforstet. Mit der forensischen Software «EnCase» hat der Polizeitechniker nach «Kanada-Connection» und nach Begriffen gesucht, die im rätselhaften Facebook-Dialog vorkommen. Er hat im ersten Anlauf nichts gefunden. Er befahl seinem Rechner, die Festplatte nach dem Wort «Verletzung» zuscannen. Fehlanzeige. Nach «Vergewaltigung» und ähnlichen Buchstabenkombinationen. Wieder nichts. Nach «Hämatom». Ebenfalls kein Treffer.
    Doch dann machte er eine Entdeckung.
    Jeder aus dem kleinen Personenkreis, der davon erfährt, weiß sofort: Nun steht Jörg Kachelmann einer Freilassung näher denn je. Sein Umfeld macht sich bereits Gedanken, wie das Leben des Wettermoderators weitergeht, nachdem er aus der JVA spaziert ist: zuerst eine offizielle Pressemeldung, dann ausgewählte Interviews, dann mal weitersehen.
    Nach dem Essen allein bespricht sich Oberstaatsanwalt Gattner nachmittags mit Staatsanwalt Oltrogge. Für beide steht fest: Wenn Sonja A. es nicht zugibt, ist Jörg Kachelmann ein freier Mann. Wenn sie es nicht zugibt.
    Und wenn sie es zugibt? Dann gilt es, die Lage vertieft zu analysieren, finden die beiden. Der Zufall will es, dass die Staatsanwaltschaft Sonja A. schon eine Woche zuvor für den kommenden Tag zu sich bestellt hat. Bei der telefonischen Terminvereinbarung fragte Rechtsanwalt Thomas Franz Staatsanwalt Oltrogge, ob er sich nun Gedanken machen müsse. Das hängt von ihnen und ihrem Naturell ab, will Lars-Torben Oltrogge geantwortet haben, und vielleicht hat er dann gelacht – so wie er in solchen Situationen öfters lacht. Laut, aber herzlich. Auch er ahnte nicht, dass sich Thomas Franz eine Woche später tatsächlich sogar ernste Sorgen um seine Mandantin machen muss.
    Denn nun hat die Staatsanwaltschaft aus der Computerauswertung erfahren: Sonja A. hat nicht erst am 8. Februar 2010 im Internet nach Lena G. gesucht, wie sie mehrfach behauptet hat. Sondern exakt 365 Tage zuvor: Am Sonntag, den 8. Februar 2009, um 21.28 Uhr.
    Die Radiomoderatorin trifft am 20. April 2010 pünktlich im Quadrat M1 ein, begleitet von ihrem Anwalt. Hier lernt sie Oskar Gattner und Lars-Torben Oltrogge kennen. Den Guten und den Bösen, wie sie bald sagen wird. In den nächsten zwei Stunden nehmen Gattner und Oltrogge tatsächlich die Rolle des good cop unddes bad cop ein – zwar nicht so klischeehaft wie in Krimis, aber doch irgendwie. Gattner fragt einfühlsamer, Oltrogge hartnäckig.
    Die Vernehmung findet im Büro des Oberstaatsanwalts statt, da dort ein großer Tisch steht. Die Stimmung ist von Anfang an steif, sie entspannt sich nicht, als Oltrogge Sonja A. belehrt: Beschuldige sie jemanden falsch, erklärt der Staatsanwalt mit den langen Locken, müsse sie damit rechnen, wegen Freiheitsberaubung und falscher Verdächtigung verfolgt zu werden. Dann fragt er: «Könnte es sein, dass Sie nicht in allen Punkten die Wahrheit gesagt haben?» «Das weiß ich nicht», antwortet Sonja A. und schweigt. Die Staatsanwälte schweigen ebenfalls. Eine ganze Weile. Der Erste, der wieder spricht, ist Oskar Gattner. Er präzisiert: «Das muss sich nicht auf das eigentliche Tatgeschehen beziehen.» Lars-Torben Oltrogge findet diese Ergänzung seines Vorgesetzten «nicht besonders glücklich», wie er im Prozess gegen Jörg Kachelmann einräumen wird. Sonja A. kann jetzt ahnen, dass es um die Vorgeschichte geht. Auch weiß sie: Die

Weitere Kostenlose Bücher