Die Akte Kachelmann
angeblichen «Liebesbetrug» an der barfüßigen und altertümlich frisierten «Märchenprinzessin», wie es in einer Bildlegendeheißt. Im Mannheimer Landgericht wird Lena G. wiederholen, dass sie Jörg Kachelmann und seine Kinder als ihre Familie wahrnahm. «Für mich war klar, wo ich Ostern, Weihnachten verbringe.» Ihre Stimme bricht. «Das war mein Leben.»
Jörg Kachelmann starrt in ihre Richtung, aber ins Leere.
Mit dem «Bunte»-Interview habe sie andere Frauen warnen wollen und sich schützen: Es könne, findet sie nach wie vor, nicht sein, «dass er nur als der Strolch dasteht, der halt was mit den Mädels hat». Sie fügt hinzu: «Ich wusste, wenn ich das Interview mache, bin ich jemand, den er nicht mehr kontaktiert. Das war mein Selbstschutz.»
Jörg Kachelmann blickt wie versteinert.
Richter Joachim Bock wird schimpfen und fragen: «Sie haben Facebook in die Ermittlungen reingebracht, sie haben einen Brief geschrieben. Da muss doch jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass er als Zeuge in Betracht kommt. Das Gericht sieht es als Respektlosigkeit, dass Sie vor Ihrer Vernehmung ein Interview gegeben haben. Was hat Sie dazu bewogen?»
Lena G. antwortet: «Mein eigenes Leben! Für mich ist mein Leben zusammengebrochen. Ich musste irgendwas tun.»
Johann Schwenn ruft dazwischen: «Für 50 000 Euro!»
Bock wird laut, weist ihn zurecht: «Sie haben im Moment nichts vorzubringen!»
Schwenn lässt sich nicht gern sagen, wann er zu schweigen hat: «Eine Zeugin heult Sie an, und Sie halten ihr nicht vor, dass dieses ganze Getue …»
«… Ihr Vorhalt ist nicht angebracht», unterbricht ihn Bock.
Lena G. kann fortfahren: «Ich kann mir vorstellen, dass es nicht alle gut finden, wie ich mich verhalten habe. Aber es war mein Weg, mit der Geschichte umzugehen.»
Bock: «Was haben Sie mit dem Geld gemacht?»
Lena G.: «Es ist noch da. Einen Teil habe ich gespendet. Aber ich war – sicher auch frauentypisch – ein bisschen einkaufen.» «Bevor Sie hier wieder zu weinen anfangen, zeige ich Ihnen mal ein Bild», sagt Johann Schwenn ganz am Schluss des 35. Verhandlungstages. «So sieht also Enttäuschung aus!» Jörg Kachelmanns Verteidigerhebt die «Bunte» in die Höhe. Auf dem Cover ist die Zeugin kaum wiederzuerkennen. Ihre dunkelbraunen Haare wirken hellbraun, ihr Haar, das sie normalerweise glatt trägt, ist gelockt. «Das ist eine Inszenierung vom Anfang bis zum Ende», empört sich Schwenn, und er triumphiert: «Da haben Sie sich sogar eine Perücke aufkleben lassen!»
Selbst Richter und Schöffen können sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Lena G. entgegnet: «Das sind meine Haare!» Dann sagt sie noch: «Aber ich wollte nicht so aussehen, wie ich aussehe. Ich habe die Fotos nicht gemacht und die Kleider nicht ausgewählt.» Sie habe sich eher etwas in Jeans und am Waldrand vorgestellt. «Ach», wendet Schwenn ein, «und posiert haben Sie auch nicht?»
Seine angebliche Fast-Mandantin bleibt ruhig. Sie lächelt permanent, als sie sich rechtfertigt: «Sie haben das nicht erlebt, acht Jahre sind eine lange Zeit. Vielleicht wirke ich hier tough, aber so was geht nicht spurlos an einem vorüber.»
«Aber bei 50 000 Euro sind sie eine toughe Verhandlerin», sagt Schwenn. «In einem Chat schreiben Sie, sie hätten gern sein Gesicht gesehen, als er von der ‹Bunte›-Geschichte erfuhr.» Lena G. nickt.
«Nun hatten Sie ja Gelegenheit dazu!» Schwenn schaltet sein Mikrophon aus. Die Befragung der Zeugin ist beendet.
Am Erscheinungstag des Hefts mit der Lockenfrau vorne drauf hat bei Sonja A. das Telefon geklingelt. Dran war Lena G. Die beiden tauschen sich aus, schreiben sich bald E-Mails. Sie finden heraus, dass sie von Jörg Kachelmann die gleichen Kosenamen verpasst bekamen, er ihnen identische Botschaften schickte und dass ihnen die gleichen Storys aufgetischt wurden. Sonja A. ist besonders froh, dass sie sich von jemandem verstanden fühlt, denn es hat sich viel getan in ihrem Fall, in der Zeit, in der Lena G. in Kanada war.
Während der Eyjafjallajökull ein noch nie da gewesenes Grounding der Luftfahrt bewirkte, hat sich viel getan im Fall Kachelmann.
In Teufels Küche
Oberstaatsanwalt Oskar Gattner geht am 19. April 2010, einem Montag, entgegen seiner Gewohnheit allein Mittag essen. Ein Monat ist seit der Verhaftung Jörg Kachelmanns bereits verstrichen. Eine intensive Zeit für den erfahrenen Oberstaatsanwalt, der seit den 80er-Jahren in Mannheim Straftaten verfolgt und schon einen
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