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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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«längere Pause» protokolliert. Sonja A. beendet sie mit dem Satz: «Ich war noch nicht so weit.» Die Ermittler fragen, was denn der Unterschied gewesen sei, zwischen dem 20. Januarund dem 8. Februar. «Zum einen musste er danach weg nach Kanada und ich hatte das Bedürfnis, das vorher zu klären.» Sonja A. sucht die ganze Zeit den Blick der Staatsanwälte nicht, aber sie weicht auch nicht aus. «Vielleicht war es auch einfach nur ein stärkerer Tag. Ich war zuversichtlich, dass es nicht stimmt. Warum hätte er sonst die Pläne machen sollen?» Sonja A. bricht in Tränen aus. Sie zittert stark. «Ich wollte das eigentlich abhaken und …»
    In der Hauptverhandlung, am 36. Tag, wird Lars-Torben Oltrogge sagen: «Eine richtige Erklärung hat sie bis heute nicht.»
    Kachelmanns Verteidiger Johann Schwenn, scharf wie häufig, wird den Staatsanwalt anfahren: «Warum haben Sie den Vorhalt unterlassen, dass nur Zuhause die Logistik stimmte? Da sind die Eltern, denen man das Opfer vorspielen kann, da ist der Computer, da ist die heimatliche Polizei, auf die man sich sicher verlassen kann.»
    Oltrogge wird entgegnen: «Weil ich das für konstruiert halte.»
    Jetzt sitzt Sonja A. zusammengesunken da, in Oskar Gattners Büro, nachdem sie nicht eine Lüge eingestanden hat, sondern zwei. Ganz zum Schluss der Vernehmung weist die Staatsanwaltschaft sie «noch einmal nachdrücklich», wie es im Protokoll heißt, auf ihre Wahrheitspflicht hin. Dies sei der letzte Zeitpunkt für Berichtigungen. «Es gibt keine weiteren Dinge, die ich berichtigen muss», erklärt Sonja A. «Alles andere stimmt so, wie ich es bisher gesagt habe.»
    Die Staatsanwälte tun nun etwas, was ihnen große Kritik eintragen wird. Sie beenden die Vernehmung. Sie brechen ab, ohne ein Wort zum Tatvorwurf zu verlieren. Sie haken nicht mehr nach. «Mit Frau Professor Greuel hatte ich mich geeinigt», wird sich Lars-Torben Oltrogge rechtfertigen, «nicht zum Kerngeschehen zu fragen.» Das wäre problematisch gewesen, weil für drei Wochen später ihre aussagepsychologische Exploration angesetzt war. Wurde hier die Chance verpasst, die ganze Wahrheit im Fall Kachelmann zu hören? Oder hat Sonja A. alle ihre Lügen zugegeben?
    Die Zeugin hat zumindest für Staatsanwalt Oltrogge soeben «eine plausible Erklärung» für ihr Verhalten abgeliefert. Sonja A.weint. Beim Herausgehen sagt sie: «Jetzt kommt er bestimmt frei.» Aber Lars-Torben Oltrogge beruhigt sie und versichert: «So schnell geht das auch wieder nicht.»

Das Messer
    Der Verdacht gegen Jörg Kachelmann sei «widerlegt», so heißt es in einer Medienmitteilung, das Verfahren «eingestellt». Dies hätten die Beweismittel und eine erneute Vernehmung der Anzeigeerstatterin ergeben. Jörg Kachelmann, steht da, sei aus der Haft entlassen. Weitere Auskünfte würden nicht erteilt, lautet der Schlusssatz.
    Allerdings ist diese Medienmitteilung nie versandt worden und wird nie versandt werden. Niemand in Mannheim denkt auch nur daran. Nicht die Staatsanwaltschaft, nicht das Amtsgericht, nicht das Landgericht, niemand will eine solche Botschaft verschicken, wie sie die Verteidigung bei den Strafverfolgern zur gemeinsamen Publikation eingereicht hat. Niemand will den berühmtesten Inhaftierten der Quadratestadt auf freien Fuß setzen – auch wenn das Anwaltduo aus dem Kölner Friesenviertel dies wieder und wieder verlangt, mal freundlich, mal energisch, nie erfolgreich. Die Ermittler haben etwas ganz anderes vor.
    Die Staatsanwaltschaft, so vertraut Sonja A. ihrem Therapeuten an, habe ihr etwas verraten: Sie wolle Anklage erheben, bereits Mitte Mai. Dies sollen die Staatsanwälte ihr gesagt haben am Tag, an dem sie ihre Lügen eingestand.
    Und so steht zwei Tage später nicht in der Presse, der Verdacht, Jörg Kachelmann habe vergewaltigt, sei widerlegt. Sondern so etwas wie das Gegenteil davon. In Windeseile verbreitet sich am 22. April 2010 eine Nachricht, die aus der «Süddeutschen Zeitung» stammt – bis in die JVA Mannheim. Auch Sonja A. wird davon lesen, denn sie, die studierte Medientechnikerin, hat mittlerweile eine Routine entwickelt: Kaum aufgestanden, wirft sie ihren Laptop an und sucht bei Google nach News zu Kachelmann.
    «Ha, ha, wie wird das Wetter morgen?», hätten sie ihn anfangs im Gefängnis gefragt. Aber er, sagt Jörg Kachelmann später im «Spiegel», habe keine Lust gehabt auf Meteorologie, er habe sich auf seine Aufgaben konzentriert. «Es war wie im Krieg – man muss sich aufs

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