Die Akte Kachelmann
es sei eine Behauptung. Sie habe es nicht ernst genommen. Nicht wahrhaben wollen. «Von Jörg aus», ergänzt sie noch, «hatte ich auch keine Anhaltspunkte. Er war so zukunftsorientiert. Wir hatten so viele Pläne.»
Dann sagt sie noch: «Ich schäme mich, dass ich die falschen Angaben gemacht habe.» Lars-Torben Oltrogge diktiert fürs Protokoll, was Sonja A. eben eingestanden hat. Während er ihre Worte wiederholt, hört er ein Schluchzen.
Die Staatsanwälte kommen auf den sonderbaren Brief mit dem Satz «Er schläft mit ihr!» zu sprechen. Sonja A., eben der Lüge überführt, behauptet steif und fest, sie habe ihn im Briefkasten gefunden, am Montag, vor der Tatnacht, am späten Nachmittag, so zwischen fünf und sechs Uhr, als sie zurückkam vom Einkaufen bei Aldi. Oder war sie bei Lidl? Oltrogge glaubt ihr kaum ein Wort und blufft:«Wenn der Brief beispielsweise in Ihrer Firma erstellt worden wäre, so prüfen wir die Drucker und finden auch das raus.»
Doch Sonja A. bleibt standhaft: «Ich habe den Brief wirklich erst am 8. Februar bekommen.» Die Ermittler belehren die Zeugin noch einmal «eindringlich». Wie sie das im Detail tun, wird niemand überprüfen können, denn es existiert keine Tonbandaufnahme der Vernehmung und nicht einmal annähernd ein Wortlautprotokoll.
Die Staatsanwälte konfrontieren Sonja A. mit einem neuen Ermittlungsergebnis, von dem sie noch überhaupt keine Ahnung hat: Auf dem Brief ohne Frankierung fanden sich keine Fingerabdrücke eines oder einer unbekannten Dritten, die oder der den Umschlag eingeworfen habe könnten. Vorhanden sind nur Spuren einer einzigen Frau und eines einzigen Mannes: von Sonja A. und von Jörg Kachelmann. Trotzdem sagt Sonja A. «Ich bleibe dabei. Es war wirklich so, wie ich es gesagt habe.»
So kommen wir nicht weiter, denkt sich Lars-Torben Oltrogge. Wenn sie jetzt weiterlügt, dann ist es vorbei. Der Staatsanwalt unterbricht die Vernehmung. Er zieht sich in sein Büro zurück, zusammen mit seinem Vorgesetzten. Sonja A. und ihr Anwalt bleiben in Oskar Gattners Dienstzimmer zurück. Die Staatsanwälte holen sich Kaffee oder Wasser und diskutieren die weitere Vernehmungstaktik. Viel mehr Handfestes, was sie Sonja A. noch vorhalten könnten, haben sie nicht. Sie fragen sich: Gibt es noch einen dringenden Tatverdacht gegen Jörg Kachelmann? Muss er freigelassen werden? Nach einer Viertelstunde werden sie unterbrochen. Es hat geklopft. Thomas Franz tritt ein und sagt, seine Mandantin wolle etwas ergänzen, vielleicht sagt er auch korrigieren.
Das Trio geht zu ihr hinüber. Um 10.05 Uhr gesteht Sonja A. eine zweite Lüge ein. «Einige Monate vor der Tat habe ich die Kopie der Tickets im Briefkasten erhalten», räumt sie ein. «Dies war ohne ein Anschreiben, das heißt ohne das zweite Blatt.» Sie meint das Papier mit dem Satz «Er schläft mit ihr!». Dieses zweite Blatt habe sie selbst geschrieben. Sonja A. versucht, ihr Verhalten zu rechtfertigen: «Ich wollte nur die Wahrheit wissen. Ich wollte wissen, ob es stimmt. Ich wollte wissen, was aus der Beziehung wird. Ich wollteihn doch nicht verlieren.» Die Worte fließen wieder. «Ich dachte, jetzt, wo es sich so positiv entwickelt hat, klären wir das und dann können wir durchstarten mit all den Plänen im Schwarzwald. Ich hab mir das so gewünscht.»
Wann sie die Tickets gefunden habe, wollen die Staatsanwälte wissen.
«Das war Mitte 2009.»
«Gab es den Anruf?»
«Ja, der war wesentlich früher, das waren Monate vor dem Brief. Es war viel Zeit dazwischen.»
«Wie haben Sie den Brief erhalten?»
«Er lag im Briefkasten. Es war ein leerer Umschlag mit einer Kopie der Tickets.»
«Wo ist der Umschlag?»
«Den habe ich damals weggeworfen.»
«Wo wurde das Anschreiben erstellt?»
«Wahrscheinlich bei mir zu Hause. Dann habe ich es im Sender ausgedruckt.»
«Wahrscheinlich?»
«Ich habe es vermutlich auf dem USB-Stick gespeichert und dann im Sender ausgedruckt.»
«Wann?»
«Im Dezember … Ich habe immer wieder den Plan gehabt, ihn anzusprechen, hatte aber Angst vor der Wahrheit. Dann habe ich es wieder alles weggepackt, später wollte ich es dann wieder wissen.»
«Aus dem Protokoll des Chats wissen wir, dass Lena G. Ihnen am 13. Januar mitgeteilt hat, dass sie eine Beziehung mit Jörg hat. Am 20. Januar waren Sie mit dem Beschuldigten in Herrenschwand.»
«Ja, das ist richtig.»
«Warum haben Sie ihn da nicht zur Rede gestellt?»
«Ja, das frag ich mich auch.»
Jetzt ist erstmals wieder
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