Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
er sich in so heftigen
Schmähungen gegen seinen ehemaligen Kassierer, daß
der Untersuchungsrichter Einhalt gebieten mußte.
    »Bitte, wollen Sie sich damit begnügen, auf
meine Fragen zu antworten. Haben Sie je an der Redlichkeit Ihres
Kassierers gezweifelt?«
    »Nein, obwohl ich genügende Gründe
gehabt hätte.«
    »Was für Gründe?«
    »Mein Kassierer spielte, er brachte ganze
Nächte beim Bakkarat zu und hat, wie ich erfuhr, einigemal
nicht unbeträchtliche Summen verloren. Er soll auch einmal in
eine schmutzige Spielgeschichte verwickelt gewesen sein, wie er
überhaupt einen schlechten Umgang hatte.«
    Fauvel erzählte noch einige Beispiele von Bertomys
grenzenlosem Leichtsinn und der Richter bemerkte: »Sie
müssen es doch selbst eingestehen, Herr Fauvel, daß
es von Ihnen unvorsichtig, um nicht zu sagen strafbar, war, einem
solchen Manne Ihre Kasse anzuvertrauen.«
    »Sie würden recht haben, Herr Richter, wenn
Bertomy immer so gewesen wäre, aber bis vor einem Jahre war er
nicht nur das Muster eines Beamten, sondern eines jungen Mannes
überhaupt. Er verkehrte in meinem Hause, wir betrachteten ihn
als zu meiner Familie gehörig, meine Söhne liebten
ihn wie einen Bruder und er brachte alle Abende bei uns zu.
Plötzlich brach er seine Besuche bei uns ab und das wunderte
uns um so mehr, als wir alle Ursache hatten anzunehmen, daß er
meine Nichte Magda liebte.«
    »War vielleicht gerade diese Liebe die Ursache von
Bertomys Entfernung?« fragte der Richter.
    »Dazu wäre kein Grund vorhanden
gewesen,« entgegnete der Bankier, »ich hätte
seine Bewerbung nicht nur nicht verhindert, sondern ihm gerne meine
Einwilligung gegeben. Für ihn aber würde diese
Verbindung ein Glück gewesen sein; meine Nichte ist ein
schönes liebenswertes Mädchen und besitzt eine halbe
Million Mitgift.«
    »So wissen Sie keinen Grund für das Betragen
Ihres Kassierers?«
    Herr Fauvel dachte nach.
    »Eigentlich keinen, zwar wollte es nur scheinen, als
ob Prosper sich geändert hätte, seit er mit einem
jungen Mann namens Raoul von Lagors Umgang pflegte.«
    »Wer ist dies?«
    »Ein Verwandter meiner Frau, Prosper hat ihn bei uns
kennen gelernt. Er ist ein liebenswürdiger, einnehmender
junger Mann, der allerdings etwas leichtsinnig ist, aber da er
Vermögen besitzt, so kann er seine tollen Streiche
bezahlen.«
    Während der Bankier sprach, notierte der
Untersuchungsrichter sorgfältig den Namen Raoul von Lagors und
fragte dann weiter: »Sind Sie sicher, daß niemand
anderes den Diebstahl ausgeführt haben kann?«
    »Vollkommen sicher.«
    »Tragen Sie den zweiten Kassenschlüssel
immer bei sich?«
    »Zumeist, wenn nicht, liegt er in dem obersten
Schubfach meines Schreibtisches in meinem Schlafzimmer.«
    »Trugen Sie den Schlüssel gestern abend bei
sich?«
    »Nein, er lag im Schreibtisch.«
    »Ja, dann ...«
    »Verzeihen Sie, bei meinem Geldschranke
genügt der Schlüssel allein nicht, man muß
auch das Stichwort kennen, nach welchem sich die Drücker in
Bewegung setzen...«
    »Und haben Sie das Wort niemandem gesagt?«
    »Nein, niemandem. Gewöhnlich wählte
der Kassierer das Stichwort, und oft wäre ich in Verlegenheit
gewesen, wenn ich es hätte nennen sollen. Prosper sagte es mir
zwar jedesmal, wenn er es wechselte, aber ich vergaß es
häufig, nur das letzte habe ich behalten, weil es mir
aufgefallen war, es lautete: Gypsy .«
    Der Untersuchungsrichter notierte auch diesen Namen, dann fuhr
er fort: »Waren Sie am Abend der Tat zu Hause?«
    »Nein, ich brachte den Abend bei einem Freunde zu,
kam erst nm ein Uhr nach Hause und legte mich gleich zu Bett.«
    »Und Sie wußten nicht, welche Summe sich in
der Kasse befand?«
    »Nein, da Bertomy gegen meinen
ausdrücklichen Befehl das Geld noch am Tage vor der Auszahlung
holen ließ.«
    Dem Untersuchungsrichter war es schon aus dem Protokoll des
Polizeikommissars bekannt, daß es sich in der Tat so verhielt:
Fauvel wußte nichts von dem Gelde in der Kasse – das
belastete Bertomy schwer.
    »Wenn ich auch glaube, über jedem Verdacht
zu stehen,« sagte der Bankier, »so werde ich doch
nicht eher ruhig schlafen können, bis die Schuld meines
Kassierers klar festgestellt ist. Die Verleumdung wird nicht ruhen und
der Verdacht, daß ich mich selbst bestohlen, wird an mir
haften, obgleich ich zu jeder Stunde beweisen kann, daß ich
dies nicht nötig habe. Sie würden mich verpflichten,
Herr Richter, wenn Sie den Stand meines

Weitere Kostenlose Bücher