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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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und harrte der Entscheidung.
    Die ersten Tage waren ihm nicht allzu lang geworden, er hatte
sich Papier geben lassen und arbeitete an einer Verteidigungsschrift.
Als aber der zweite, der dritte Tag verging, ohne daß er aufs
neue vorgerufen wurde, fühlte er sich beunruhigt:
»Muß ich denn hier ewig bleiben?« rief er
wiederholt, »werde ich denn nicht wieder
verhört?«
    »Nur Geduld,« sagte der
Gefängniswärter jedesmal, »man wird Sie
nicht vergessen.«
    Endlich am fünften Tage, nachdem er schon der
finstersten Verzweiflung anheimgefallen war, hörte der
Unglückliche zu einer Stunde, zu der sonst nie der
Gefängniswärter erschien, die Riegel klirren.
    »Endlich!« rief er, denn er hoffte, man
käme ihn zum Verhör zu holen, sprang auf und eilte
zur Tür, aber er war wie vom Blitz getroffen beim Anblick des
weißhaarigen Mannes, der auf der Schwelle erschien.
    »Vater ...!« stieß er hervor,
»Vater!«
    Nachdem sich Prosper von der ersten Überraschung
erholt hatte, durchflutete ihn ein Gefühl unendlichster
Freude. So war er nicht ganz verlassen und vergessen, sein Vater hatte
die weite Reise nicht gescheut, um zu ihm zu eilen, ihm beizustehen ...
    »Vater,« rief er nochmals froh bewegt,
breitete die Arme aus und stürzte ihm entgegen.
    Aber der alte Bertomy stieß ihn zurück.
    »Hinweg von mir,« sagte er. Dann trat er
vollends ein, die Tür hinter ihm wurde geschlossen und Vater
und Sohn standen einander allein gegenüber. Prosper war
gebrochen und vernichtet, der Alte zornig, beinahe drohend.
    »Vater, auch du glaubst an meine Schuld?«
rief Prosper schmerzlich aus.
    »Spare dir die Komödie,« entgegnete
der Alte verächtlich, »ich weiß
alles!«
    »Ich bin unschuldig, Vater, beim Andenken meiner
Mutter schwöre ich dir ...«
    »Entweihe ihren Namen nicht – Wohl ihr,
daß sie nicht mehr lebt – deine Schande
hätte sie getötet!«
    »Vater, Vater, du schmetterst mich nieder und ich
bedarf doch jetzt meines ganzen Mutes – ich bin ja das Opfer
schmählichster Ränke ...«
    »Was soll das heißen? Hast du vielleicht die
Stirn, den zu beschimpfen, der dich mit Wohltaten
überhäuft, dir eine glänzende Stellung
verschafft hat und eine glückliche Zukunft bereiten
wollte?!«
    »Höre mich, Vater –
–«
    »Wie, willst du etwa die Güte deines Chefs
leugnen, hast du mir nicht selbst geschrieben, du bist seiner Zuneigung
so sicher, daß er dir gewiß die Hand seiner Nichte,
die du liebst, nicht verweigern wird. Verhält es sich
vielleicht nicht so?«
    »Allerdings,« versetzte Prosper mit
gepreßter Stimme.
    »Das ist nun ein Jahr her – deine Neigung
zu dem Fräulein scheint seitdem erloschen zu sein.«
    »Nein! Ich liebe sie unverändert.«
    »Wahrhaftig?« rief der alte Bertomy
verächtlich. »Die Liebe zu diesem reinen
Mädchen hat dich aber nicht vor Ausschweifung bewahrt. Du
liebst sie – wie konntest du ohne Erröten vor sie
hintreten, wenn du von der schamlosen Gesellschaft kamst, in der du
lebtest?«
    »Laß dir erklären, Vater, durch
welches Verhängnis Magda und ich –
–«
    »Genug, du brauchst mir nichts zu erklären,
ich weiß schon alles ... Ich war in deiner Wohnung und habe
alles begriffen: Ich sah die seidenen Vorhänge, die
vergoldeten Möbel, die kostbaren Teppiche und Bilder
– bei solch einen: Luxus ist es kein Wunder, daß du
den ehrlichen Namen, den du trägst, schimpflich beflecktest
und zum Diebe geworden bist!«
    Prosper taumelte bei diesen Worten, als ob er einen Schlag ins
Gesicht erhalten hätte, er erbleichte, sagte aber kein Wort.
    Der Vater schwieg einen Augenblick, dann fuhr er
veränderten Tones fort: »Aber lassen wir das, ich bin
nicht gekommen, um dir Vorwürfe zu machen, ich bin gekommen,
um den Schaden zu ersetzen. Wieviel bleibt dir noch von dem gestohlenen
Gelde?«
    »Aber um Gottes willen, Vater,«
stöhnte der Unglückliche, »ich sagte dir ja
schon, daß ich unschuldig bin.«
    »Du bleibst also hartnäckig dabei? Wohl,
dann werden wir den Schaden allein tragen und gutmachen, was
gutzumachen ist. Ich besitze 150 000 Frank und mein Schwiegersohn hat
mir sofort, als er dein Verbrechen erfuhr, die Mitgift seiner Frau
zurückgegeben, so daß ich Herrn Fauvel 250 000
ersetzen kann.«
    »Das wirst du nicht tun,« rief Prosper mit
ausbrechender Heftigkeit.
    »Das werde ich tun, und zwar gehe ich sofort hin. Was
die noch fehlende Summe betrifft, so wird mir Herr Fauvel Zeit lassen,
ich will

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