Die Akte Nr. 113
mich aufs äußerste einschränken und
Paul, mein Schwiegersohn ...«
Der alte Bertomy hielt plötzlich erschrocken inne,
denn Prospers Gesicht hatte einen entsetzenerregenden Ausdruck und
seine Augen sprühten Feuer.
»Das wirst du nicht tun,« wiederholte er
fast schreiend, »dazu hast du kein Recht!...« Und
etwas ruhiger fügte er hinzu: »Ich kann dich nicht
zwingen, Vater, mir zu glauben, aber du darfst einen Schritt, der einem
Geständnis gleichkäme, der mich unrettbar ins
Verderben stürzen würde, nicht tun. Wer beweist dir,
daß ich schuldig sei? Das Gericht zögert noch und du,
mein eigener Vater, bist unbarmherziger und verurteilst mich!«
»Ich erfülle meine Pflicht!«
»Ich stehe am Abgrunde, du stößt
mich hinab und das nennst du Pflicht! Fremde klagen mich an und du
glaubst ihnen und nicht deinem Sohne, der dir schwört,
daß er unschuldig ist. Warum bist du so ungerecht, Vater?
Statt mir zu helfen, meine Ehre, die ja die deinige, die unserer ganzen
Familie ist, zu retten, meine Unschuld an den Tag zu bringen, willst du
mich ganz zugrunde richten!«
Der alte Bertomy war bewegt, aber trotzdem sagte er:
»Wie kann ich dir glauben, da alles gegen dich
spricht?«
»Ach, Vater, eines Tages sah ich mich gezwungen, mich
von Magda loszureißen, ich wollte mich betäuben,
zerstreuen und stürzte mich in einen Strudel ... aber Vater,
ich habe keine Schlechtigkeit begangen ... Ich suchte Vergessenheit
– konnte ich ahnen, daß ich nur Ekel und Schande
finden würde? Aber ich bin unschuldig und werde bis zum
letzten Atemzuge kämpfen. Ich weiß, daß ich
verurteilt werden kann, denn die menschliche Gerechtigkeit ist dem
Irrtum unterworfen, aber wenn ich meine Strafe
verbüßt habe, dann ...«
»Unseliger, was sagst du?«
»Ich bin ein anderer Mensch geworden,
Vater,« fuhr Prosper erregt fort, »mein Leben hat nur
einen Zweck, und der heißt Rache! ... Ich bin das Opfer eines
schändlichen Anschlages; im Hause Fauvel ist mein Feind, dort
werde ich ihn suchen und finden!«
»Der Zorn verblendet dich, Prosper.«
»Nein, Vater, das schöne patriarchalische
Leben, die Ehrenhaftigkeit dort sind nur Schein, unter denen sich
schmähliche Geheimnisse bergen müssen. Warum hat mir
Magda plötzlich eines Tages verboten, an sie zu denken? Warum
hat sie mich verbannt, da sie mich doch liebt, und sie selbst unter
unserer Trennung leidet. Ja, sie liebt mich, ich habe
untrügliche Beweise dafür ...«
Die Stunde, die dem Vater zur Unterredung mit dem Sohne
gewährt worden, war verstrichen, der
Gefängniswärter kam, sie mußten sich trennen.
Tränen traten dem Alten in die Augen und die
widerstreitendsten Gefühle zerrissen sein Herz.
Warum sollte er Prosper nicht Glauben schenken? Und selbst,
wenn er schuldig wäre, war er darum weniger sein Sohn? Sein
Sohn, den er so sehr geliebt, der bis zu dem unseligen Augenblick seine
Freude, sein Stolz gewesen!
Und von seinen Gefühlen übermannt, breitete
er die Arme aus und zog sein Kind an sein Herz.
»O Prosper,« sagte er,
»mögest du die Wahrheit gesprochen haben!«
Prosper wollte antworten, aber es mußte geschieden
sein.
Kaum war der Vater fort, erschien der
Gefängniswärter nochmals und holte Prosper zum
Verhör.
Er war von der Unterredung mit seinem Vater noch so erregt,
daß er jetzt gern allein geblieben wäre, aber er
mußte gehorchen. Doch ging er festen Schrittes mit erhobener
Stirn, er war nicht mehr gebrochen und verzweifelt, sondern das Feuer
der Entschlossenheit leuchtete aus seinen Augen.
Da er den Weg kannte, schritt er dem
Gefängniswärter rasch voran, plötzlich trat
der Herr mit der goldenen Brille, der ihn in der Aufnahmekanzlei so
scharf beobachtet hatte, auf ihn zu und sagte: »Mut, Herr
Bertomy, wenn Sie unschuldig sind, wird Ihnen geholfen werden.«
Prosper war erstaunt stehen geblieben, doch ehe er eine
Antwort finden konnte, hatte sich der Fremde entfernt.
»Wer ist der Herr?« fragte Prosper den
Gefängniswärter.
»Wie, Sie kennen ihn nicht?« versetzte
dieser, im Tone größter Verwunderung, »das
ist ja Herr Lecoq von der Sicherheitspolizei.«
»Lecoq? Ich habe den Namen nie gehört, wer
ist das?«
»Sie können schon Herr Lecoq sagen,
das wird Ihnen nichts schaden. Herr Lecoq ist ein Mann, der alles
erfährt, was er erfahren will und dem man nichts weismachen
kann; wenn Sie ihn gehabt hätten, statt des
einfältigen, zuckersüßen Fanferlot,
wäre Ihr Fall
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