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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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essen.«
    »Und hierauf?«
    Prosper zögerte.
    »Sie schweigen, also will ich Ihnen sagen, wie Sie
Ihre Zeit verbrachten. Sie gingen nach Hause, um sich umzukleiden und
begaben sich sodann zu einem Fräulein Wilson, die dem Namen
nach eine dramatische Künstlerin ist, in Wirklichkeit aber
eine Spielhölle hält und allerlei zweideutige
Gesellschaft bei sich empfängt – ist das
richtig?«
    »Ja, ich war allerdings dort.«
    »Und zwar nicht zum erstenmal, es ist
überhaupt Ihre Gewohnheit, solche Gesellschaften aufzusuchen.
Sie waren einmal in eine skandalöse Spielgeschichte
verwickelt, nicht?«
    »Nein, ich wurde nur vorgeladen, weil ich Zeuge eines
Diebstahls gewesen.«
    »In der Tat, das Spiel führt zum Diebstahl.
Haben Sie bei der Wilson nicht Bakkarat gespielt und 1800 Frank
verloren?«
    »Entschuldigen Sie, nur 1100.«
    »Schon gut. Nicht wahr, am Vormittag hatten Sie einen
Wechsel von 1000 Frank eingelöst?«
    »Ja.«
    »In Ihrem Schreibtische befanden sich noch 500 Frank,
bei sich trugen Sie, als Sie verhaftet wurden, noch 400 Frank, so macht
das im ganzen 4500 Frank innerhalb vierundzwanzig Stunden.«
    Prosper war höchlich überrascht, den
Untersuchungsrichter so gut unterrichtet zu sehen, er schwieg daher
betroffen, endlich antwortete er.
    »Ihre Rechnung stimmt vollkommen.«
    »Woher hatten Sie dieses Geld, da Sie doch am Tage
vorher nicht imstande waren, eine unbedeutende Rechnung zu
begleichen?«
    »Ich hatte einige Wertpapiere, die ich verkaufte,
außerdem habe ich auf meinen Gehalt 2000 Frank
Vorschuß genommen. Ich habe nichts zu verbergen.«
    »So, wenn Sie nichts zu verbergen haben, wozu dieses
Billet, das Sie geheimnisvoll einem Ihrer Kollegen zuwarfen?«
    Und bei diesen Worten wies der Untersuchungsrichter den an
Nina Gypsy gerichteten Brief vor.
    Diesmal war Prosper noch mehr betroffen, er senkte vor dem
Blicke des Untersuchungsrichters die Augen.
    »Ich wollte ... ich dachte ...« stammelte er.
    »Sie wollten Ihre Geliebte verbergen.«
    »Das ist wahr, ich wußte, daß man
einem Manne, der eines Verbrechens angeklagt ist, alle
Schwächen seines Lebens als arge Versündigungen
anrechnet.«
    »Das heißt, Sie haben eingesehen,
daß die Anwesenheit eines leichtfertigen Frauenzimmers in
Ihrer Wohnung für Sie sehr erschwerend in die Wagschale
fällt.«
    »Fräulein Gypsy ist keine schlechte Person,
sie war Erzieherin, als ich sie kennen lernte, sie ist in Oporto
geboren und kam mit einer portugiesischen Familie nach Paris.«
    »Sie heißt weder Gypsy, noch ist sie eine
Portugiesin, noch war sie jemals Erzieherin.«
    Und aus einem Aktenfaszikel entnahm der Untersuchungsrichter
mehrere Blätter, las und sagte dann: »Sie
heißt in Wahrheit Anna Dupont und ist das Kind armer
Handwerkersleute. Früh schon mußte sie als
Dienstmädchen ihr Brot verdienen, sie scheint aber nirgends
besonders lange ausgehalten zu haben, denn bis zu ihrem sechzehnten
Jahre hatte sie mindestens zehn bis zwölf Stellen. Dann
versuchte sie es längere Zeit als Ladenmädchen, aber
nicht mit besserem Erfolg, endlich kam sie zu einer portugiesischen
Familie und ging mit dieser nach Lissabon, nach einem Jahr war sie aber
wieder in Paris und hatte sich den Namen Nina Gypsy
mitgebracht.«
    »Ich versichere Sie ...« versuchte Prosper
zu erwidern.
    »Ich weiß schon, was Sie sagen wollen:
natürlich hat man Ihnen diese Geschichte nicht erzählt, sie ist zwar nicht romantisch, aber
wahr, doch das Romantische kommt noch – In Paris lernte sie
einen Reisenden, namens Caldas, kennen, der sich in sie verliebte und
ihr eine Wohnung einrichtete, ja noch mehr, er erlaubte ihr sogar,
seinen Namen zu tragen. Ein Jahr lebte sie mit ihm – dann
lernte sie Sie kennen und verließ ihn, um zu Ihnen zu ziehen.
Der arme Teufel liebte das falsche Geschöpf so sehr,
daß er über ihre Treulosigkeit fast von Sinnen kam.
Er schwur, sich an dem elenden Räuber seines Glückes
zu rächen, ihn zu töten; indes hat man allen Grund
anzunehmen, daß er sich selber umgebracht hat, denn bald nach
dem Entweichen seiner Geliebten ist er verschwunden und alle
Bemühungen, seine Spur aufzufinden, sind erfolglos
geblieben.«
    Der Richter hielt einen Augenblick inne, dann schloß
er mit scharfer Betonung: »Dies ist das Weib, das Sie zu Ihrer
Gefährtin gemacht, dem zuliebe Sie gestohlen haben
sollen!«
    Herr Pertingent, durch Fanferlots unvollständigen
Bericht irregeführt, hatte absichtlich Nina

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