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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Dienstmann: »Würden Sie Ihren Kollegen
wiedererkennen?«
    »Gewiß, wenn ich ihn treffe.«
    »Schön, jetzt sagen Sie mir, wie viel Sie
pro Tag verdienen?«
    »Das ist nicht gleich, aber acht bis zehn Frank
sicher.«
    »Also, dann gebe ich Ihnen zehn Frank, Sie haben
weiter nichts zu tun, als spazieren zu gehen und nach dem Kollegen
Umschau zu halten, allabendlich um acht Uhr kommen Sie ins Hotel
Erzengel, fragen nach Herrn Verduret, statten mir Bericht ab und holen
sich Ihr Geld. Sobald Sie den Mann ausfindig gemacht haben, erhalten
Sie noch obendrein fünfundzwanzig Frank. Paßt Ihnen
dies Geschäft?«
    »Das will ich meinen!«
    »Dann machen Sie sich sogleich auf den Weg!«
    »Glauben Sie wirklich, daß eine Dame hinter
diesem Geheimnis steckt?« fragte Prosper, nachdem der
Dienstmann sich entfernt hatte.
    »Natürlich, ich bin überzeugt davon
und zwar ist es eine fromme Dame, die mehrere Gebetbücher
besitzt, da sie aus einem die Buchstaben herausgeschnitten
hat.«
    »Und Sie hoffen, des verdorbenen Gebetbuches habhaft
werden zu können?«
    »Ja, mein Lieber, denn mir steht ein Mittel zu Gebote
– und dies werde ich sofort in Anwendung bringen.«
    Bei diesen Worten schrieb er einige Zeilen in sein Notizbuch,
riß das Blatt heraus, rollte es zusammen und ließ es
in die Westentasche gleiten, dann sagte er: »Kommen Sie,
Prosper, nun wollen wir Herrn Fauvel unseren Besuch abstatten und dann
zum Essen gehen.«

7. Kapitel
    Raoul von Lagors hatte nicht übertrieben, als er von
Fauvels schlechtem Aussehen und Niedergeschlagenheit sprach.
    In der Tat war der Bankier seit dem Tage, an welchem sein
Kassierer auf seine Anzeige hin verhaftet worden, von tiefer Schwermut
ergriffen und der sonst so tätige Mann kümmerte sich
kaum um sein Geschäft. Den ganzen Tag fast saß er in
seinem Arbeitskabinett eingeschlossen und war für niemand,
nicht einmal für seine Familie zugänglich.
    Am Tage von Prospers Freilassung saß Herr Fauvel wie
gewöhnlich vor seinem Schreibtische, hatte die Ellbogen
aufgestützt, den Kopf in die Hände gelegt, und
starrte trübsinnig ins Weite. Plötzlich trat der
Kammerdiener mit bestürzter Miene ins Zimmer und meldete:
»Herr Bertomy ist mit einem zweiten Herrn, einem Verwandten,
wie er sagt, hier und will sich durchaus nicht abweisen lassen, er
wünscht Sie zu sprechen.«
    Der Bankier war bei der Meldung aufgesprungen.
    »Wie, er wagt es ...« rief er zornbebend ...
aber er faßte sich sogleich, der Diener sollte seine Erregung
nicht sehen und in ruhigerem Tone fügte er hinzu:
»Ich lasse die Herren bitten ...«
    Einen Augenblick später standen sich die beiden
Gegner gegenüber und maßen sich mit
haßerfüllten Blicken; Fauvel war hochrot, mit
zorngeschwollenen Adern auf der Stirne, Prosper dagegen war totenbleich
und seine Lippen zitterten.
    Herr Verduret brach das peinliche Stillschweigen. Er stellte
sich als nahen Verwandten Prospers vor und fügte hinzu:
»Es wird Ihnen bekannt sein, Herr Fauvel, daß mein
Neffe freigelassen worden ist.«
    »Ja,« entgegnete Fauvel, der sich nur mit
Mühe beherrschte, »ja, aus Mangel an
Beweisen.«
    »So ist es, und da dieser Umstand der Zukunft meines
Neffen schadet, so hat er sich entschlossen, nach Amerika
auszuwandern.«
    Fauvels Gesicht hellte sich bei dieser Mitteilung auf.
    »So, so, er wandert aus, so, so,«
wiederholte er mehrmals und mit einer Betonung, die einer Beleidigung
gleichkam.
    Prosper hatte Mühe, sich zu beherrschen, Herr
Verduret aber blieb vollkommen ruhig, als ob er den Schimpf nicht
verstanden hätte.
    »Ich meine, mein Neffe tut gut daran, nur habe ich
gewünscht, daß er sich vor seiner Abreise von seinem
ehemaligen Chef verabschiede.«
    »Herr Bertomy hätte sich den Schritt, der
für uns beide peinlich ist, ersparen
können,« entgegnete Fauvel finster. »Ich
glaube, wir haben einander nichts zu sagen.«
    Das war eine deutliche Verabschiedung; Verduret verbeugte sich
stumm und zog Prosper, der keine Silbe gesprochen hatte, mit sich fort.
    Erst auf der Straße fand Bertomy die Sprache wieder.
    »Sie haben es gewollt, sind Sie nun zufrieden,
daß ich diese Demütigung, die gar keinen Zweck hat,
auch noch erdulden mußte?«
    »Lieber Freund, es mußte sein, ich konnte nicht allein zu dem Bankier gehen und doch mußte ich
ihn sehen, um mir Gewißheit zu verschaffen, jetzt
weiß ich, daß er mit dem Diebstahl nichts zu schaffen
hat. übrigens hatte ich noch einen

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