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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Fräulein
Magda?« fragte Bertomy zögernd.
    »Ach, die Tante,« versetzte Raoul leichthin,
»die Tante ist natürlich noch immer fromm, sie
läßt sogar für den Täter Messen
lesen, meine schöne kalte Cousine aber denkt nicht mehr an den
Vorfall, sie hat zuviel mit Vorbereitungen für den
Kostümball, der übermorgen bei dem Bankier Jandidier
stattfindet, zu tun. Sie wird ein wunderbares Kostüm als
Edeldame aus der Zeit Katharinas von Medici haben.«
    Diese Mitteilung traf Prosper wie ein neuer Schlag.
    »Ist's möglich, Magda ... Magda
...« flüsterte er vor sich hin.
    Raoul tat, als hörte er nichts, er erhob sich und
sagte: »Nun muß ich gehen, lebewohl, mein lieber
Prosper und verliere den Mut nicht, nach dem Balle komme ich wieder und
erzähl' dir, wie es gewesen, unterdessen überlege dir
meinen Rat und wenn du Geld brauchst, du weißt, ich steh' dir
gern zu Diensten.«
    Er drückte Prospers Hand und ging.
    Dieser stand ganz schmerzversunken da und erst die Stimme
Verdurets riß ihn aus seiner Betäubung.
    »So sind die Freunde,« sagte er.
    »Ja,« entgegnete Prosper bitter,
»und doch hat er mir die Hälfte seines
Vermögens angeboten.«
    »Als ob solch ein Anerbieten zu irgend etwas
verpflichten würde, er hätte Ihnen ebensogut sein
ganzes Vermögen zur Verfügung stellen
können, das hätte noch großmütiger
ausgesehen. Übrigens zweifle ich gar nicht, daß der
junge Herr gerne ein beträchtliches Geldopfer
brächte, nur um den Ozean zwischen sich und Ihnen zu
wissen.«
    »O, warum sollte er ...?«
    »Warum? Vielleicht aus demselben Grunde, warum er
Ihnen so recht bemerklich erzählte, daß er schon vier
Wochen keinen Fuß in seines Onkels Wohnung gesetzt
hat.«
    »Ich glaube, daß es sich wirklich so
verhält.«
    »Aber gewiß, mein Lieber,«
versetzte Verduret lächelnd. »Und nun genug von
ihm,« fügte er ernst hinzu, »ich
weiß jetzt Bescheid, mehr wollte ich nicht. Jetzt haben wir
Wichtigeres zu tun. Vor allem anderen müssen Sie sich
umkleiden, weil wir zusammen einen Besuch zu machen haben.«
    »Einen Besuch? Bei wem?«
    »Bei Herrn Fauvel.«
    »Niemals,« rief Prosper heftig aus.
»Ich will diesen Elenden nie mehr sehen!«
    »Ich verstehe und entschuldige Ihre
Heftigkeit,« erwiderte Verduret gelassen, »aber Sie
werden sich überwinden und mit mir kommen. Ebenso wie es
nötig war, daß ich Lagors sah und beobachtete, ebenso
wichtig ist es für mich, Fauvel kennen zu lernen. Da ich nicht
allein hingehen kann, müssen Sie sich eben ein wenig
zusammennehmen. Ich werde mich als Ihren Verwandten vorstellen und Sie
brauchen kein Wort zu reden.«
    »Wenn es durchaus sein muß ...«
    »Ja, es muß sein; beeilen Sie sich, es ist spät.«
    Während Bertomy in sein Zimmer ging, um sich
umzukleiden, klingelte es wieder, Verduret öffnete; es war der
Hausmeister, der einen umfangreichen Brief in der Hand hielt.
    »Man hat soeben diesen Brief für Herrn
Bertomy bei mir abgegeben – er sieht recht seltsam ans,
nicht?«
    Der Brief sah in der Tat ungewöhnlich aus, denn die
Adresse war nicht mit der Hand geschrieben, sondern die Worte waren aus
ausgeschnittenen gedruckten Buchstaben zusammengesetzt.
    Verduret nahm das Päckchen, hieß den
Hausmeister einen Augenblick im Vorzimmer warten und trat wieder ins
Zimmer.
    »Man hat dies für Sie gebracht,«
sagte er zu Prosper, während er den Brief ohne
Umstände öffnete.
    Er enthielt zehn Stück Tausendfrankscheine und einen
kleinen Zettel, auf dem ebenfalls, wie auf der Adresse, gedruckte
Buchstaben aufgeklebt waren.
    »Was bedeutet das?« fragte Prosper
bestürzt.
    »Das werden wir sogleich erfahren, wenn wir dies
merkwürdige Briefchen lesen, also hören Sie: Lieber
Prosper, ein Freund, der deine entsetzliche Lage kennt, beeilt sich,
dir zu Hilfe zu kommen und dir zu sagen, daß es ein Herz gibt,
das mit dir leidet. Aber es gibt nur einen Ausweg, du mußt
Frankreich verlassen; du bist jung, die Zukunft gehört dir.
Gehe mit Gott und möge dies Geld dir Glück
bringen.«
    »Haben sich denn alle Leute verschworen, mich
fortzuschicken?« rief Prosper wild.
    Verduret lächelte befriedigt.
    »Gehen Ihnen endlich die Augen auf? Merken Sie
endlich, daß es Leute gibt, denen Ihre Anwesenheit unbequem
ist und die Sie um jeden Preis entfernen wollen?«
    »Aber wer sind diese Leute und wer darf sich
unterstehen, mir Geld zu schicken?«
    Verduret schüttelte traurig das Haupt.
    »Wenn ich das wüßte,

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