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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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allein.
    Er war von dem eben Erlebten mächtig
erschüttert, aber nach und nach wurden seine Gedanken klarer
und mit Staunen erkannte er die Macht des fremden Mannes, der sich
für den Freund seines Vaters ausgab und den er im Leben vorher
nie gesehen! Und dieser Fremde griff nun so in sein Leben ein,
wußte alles, kannte alles und lenkte ihn selbst wie eine
willenlose Marionette!
    Heftig erregt trat er Verduret, der eben an der Schwelle
erschien, entgegen und herrschte ihn an: »Wer sind Sie, mit
welchem Recht mischen Sie sich in mein Leben?«
    »Wer ich bin? Sie wissen es ja schon, der Freund
Ihres Vaters, der mich gebeten hat, Ihnen beizustehen. Soll ich Ihnen
etwa meine Lebensbeschreibung geben? Die hätte doch wenig
Interesse für Sie, es genüge Ihnen, daß ich
Ihnen helfen will und helfen werde.«
    »Durch welche Mittel? ich muß wissen, ob ich
sie annehmen kann oder nicht; auch bin ich nicht länger
geneigt, mich meines freien Willens zu entäußern und
mich ähnlichen Auftritten auszusetzen, wie dem heutigen. Ich
glaube, ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue.«
    »Wenn einer blind ist, mein lieber Prosper, dann
läßt er sich eben führen, das Alter spielt
dabei gar keine Rolle...«
    Diese Antwort Verdurets, die Prosper als Hohn erschien, reizte
ihn aufs äußerste.
    »Ah,« rief er, »zum Schaden
fügen Sie noch den Spott! ... Übrigens, ich danke
Ihnen, Herr Verduret, ich bedarf Ihrer Hilfe nicht, ich verzichte auf
jede weitere Nachforschung. Was gilt mir jetzt noch Ehre, Leben? Magda
ist unwiederbringlich für mich verloren – ich gebe
den Kampf auf!«
    »Ich glaube, Sie haben den Verstand
verloren.«
    »Nein, aber was soll mir alles andere, da Magda mich
nicht mehr liebt...?«
    »Haben Sie sie denn nicht verstanden...?«
    »Wie, Sie haben gehorcht?« rief Prosper
empört.
    »Ja, ich bekenne es, es war vielleicht nicht gerade
sehr zartfühlend, aber der Zweck heiligt die Mittel und Sie
können nur froh darüber sein, weil ich jetzt in der
Lage bin, Ihnen zu sagen, daß Fräulein Magda Sie noch
immer liebt.«
    »O, wenn ich das glauben könnte, aber ich
fürchte, nur aus Mitleid hat sie ...«
    »Nein, nein, sie liebt Sie und sie leidet, haben Sie
denn nicht erraten, gesehen, daß dieses edle junge
Mädchen ihre Liebe einer übernommenen schweren
Pflicht zum Opfer bringt? Wofür sie sich opfert, für
wen, das ist eben das Geheimnis, das wir enthüllen
müssen und dann werden wir auch gleichzeitig die Umtriebe
kennen, denen Sie selbst zum Opfer gefallen sind!«
    »O, wenn Sie recht hätten!«
    »Ja, ich habe recht, öffnen Sie doch die
Augen und Sie werden die Wahrheit erkennen: Magda weiß, wer
der Dieb ist ...«
    »Nicht möglich!«
    »Ja, es ist so, aber irgend etwas bindet ihr die
Zunge, sie muß Sie aufgeben, wir dürfen aber ihr
daraus keinen Vorwurf machen, denn sie hat sich selber
aufgeopfert.«
    Prosper war erschüttert. Er streckte dem Freunde
seines Vaters die Hand entgegen und sagte: »Können
Sie mir verzeihen, Herr Verduret? Ich muß in Ihren Augen sehr
lächerlich und töricht erscheinen, aber Sie wissen
nicht, was ich leide ...«
    Traurigen Tones erwiderte Verduret: »Ich habe keine
Ursache, Ihrer zu spotten, denn was Sie leiden, habe auch ich einst
empfunden. Auch ich habe ein junges Mädchen geliebt
– wenn auch kein so edles, reines Fräulein wie
Magda. – – Und eines Tages hat sie mich um eines
anderen willen verlassen.«
    »Und Sie kannten den anderen und haben sich nicht
gerächt?«
    »Nein,« entgegnete Verduret und
fügte mit eigentümlicher Betonung hinzu:
»Aber der Zufall hat meine Rache übernommen.«
    Beide schwiegen. Prospers Gedanken wandten sich wieder seinen
eigenen Angelegenheiten zu und nach einer Pause sagte er: »Ich
sehe ein, ich habe kein Recht, mich selber aufzugeben, ich bin es
meinen Angehörigen schuldig, meinen bemakelten Namen wieder
reinzuwaschen, ich bin bereit, Ihnen bis ans Ende zu folgen, Herr
Verduret; bitte, verfügen Sie über mich.«
    Am selben Tage noch verkaufte Prosper sein Mobiliar und
schrieb seinen Freunden, daß er Europa verlasse und sich nach
San Francisco begeben werde.
    Am Abend bezog er mit Verduret das Hotel zum Erzengel, wo ihm
Frau Alexandrine ihr schönstes Zimmer zur Verfügung
stellte – es war jenes, das Nina Gypsy bewohnt hatte.
    Prosper hatte sich, von all den Aufregungen und Anstrengungen
des Tages erschöpft auf das Sofa geworfen und die Ereignisse
zogen

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