Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
nicht gebracht!«
    Magda machte eine flehende Bewegung, als wollte sie ihn
bitten, ihrer zu schonen, aber er merkte es nicht und fuhr erregt fort:
»Wenige Wochen nach jener beglückenden Wallfahrt
gaben Sie mir mein Wort zurück und entrissen mir das
Versprechen, Sie zu meiden. Wenn ich wenigstens
wüßte, was Sie dazu veranlaßt hat, was ich
begangen habe, um Ihre Neigung zu verscherzen. Aber Sie
würdigten mich keiner Erklärung, Sie sprachen nur von
einem unüberwindlichen Hindernis, forderten meine Entfernung
und ich mußte der Welt glauben lassen, daß es
meinerseits freiwillig geschehe. Ach – warum haben Sie Ihr
Herz von mir gewendet, Magda, warum?«
    Große Tränen waren in Magdas Augen getreten
und rollten langsam über ihre bleichen Wangen herab.
    »O, Prosper, wozu dies alles, Sie sollten mich
vergessen ...«
    »Vergessen!« rief er, »vergessen,
als ob man das könnte! Ach, ich sehe wohl, daß Sie
mich nicht mehr lieben und so bleibt mir nur eins – der
Tod.«
    »Unseliger!« ... stieß Magda hervor.
    »Jawohl, unselig,« antwortete er traurig,
»unselig und unglücklich, mehr als Sie ahnen
können. Seit einem Jahr, seit ich Sie verloren habe, gab es
für mich kein Glück. Ich sollte Sie vergessen, sagten
Sie – ich habe es versucht, ich wollte mich berauschen,
betäuben, ich habe aus dem Taumelbecher der Lust getrunken,
mich in den Strudel wilder Vergnügungen gestürzt
– vergebliches Mühen, ich habe nicht vergessen
gelernt, nur wurde mir mein Dasein noch unerträglicher
– wundert es Sie nun, wenn ich mich nach dem ewigen Frieden,
dem Tode, sehne?«
    »O, sprechen Sie nicht so,« rief Magda,
»o Gott, das ist zuviel des Leidens!«
    Prosper mißverstand sie, er glaubte, sie sagte die
Worte mit Bezug auf ihn und antwortete: »Sie bemitleiden mich,
Magda? Ach, was soll ich noch auf der Welt? Ich habe Ihre Liebe
verloren, ich komme aus dem Gefängnisse, entehrt,
schmachbedeckt, für mich gibt es keine Hoffnung, keine Zukunft
mehr, mir bleibt nur die Verzweiflung und der Tod!«
    »Ach, Prosper, wenn Sie
wüßten...«
    »Ich weiß nur eins, daß Sie mich
nicht mehr lieben und daß ich Sie unwandelbar liebe und ewig
lieben werde!«
    Er schwieg, aber Magda antwortete nicht.
    Da ertönte plötzlich durch die Stille
unterdrücktes Schluchzen, erstaunt wandten sich die beiden: es
war Magdas Kammerjungfer, die im Hintergrunde saß und heftig
weinte. Magda hatte ihre Anwesenheit völlig vergessen, Prosper
sie nicht bemerkt, aber jetzt erkannte er sie zu seinem nicht geringen
Schrecken: das einfach und bescheiden gekleidete junge Mädchen
war Nina Gypsy!
    Und Nina hatte alles gehört! Mitleid beschlich
Prospers Herz, sie liebte ihn und mußte Zeugin seines
Geständnisses, das er einer anderen machte, sein! Und an
seinem eigenen Schmerz, da er sich verschmäht wähnte,
konnte er die Qualen, die Nina erduldete, ermessen. Aber zu seinem
Mitgefühl schlich sich eine zweite Empfindung: die des
Erstaunens; wer und was hatte die wilde, leidenschaftliche Nina Gypsy
so verwandelt, daß sie – die wohl nur ihm zuliebe
die Stelle einer Dienerin angenommen, jetzt so ruhig sitzen blieb und
nur still weinte, statt aufzufahren und ihre Rechte als seine Geliebte
geltend zu machen?
    Magda hatte sich inzwischen etwas gefaßt, sie trat an
Prosper heran und sagte weich: »Warum sind Sie gekommen? Wir
bedürfen beide unseres ganzen Mutes, denn – auch ich bin
unglücklich, Prosper – o, noch viel
unglücklicher als Sie! Sie dürfen wenigstens Ihrem Herzen durch Klagen Luft machen, mir ist es sogar
verwehrt, auch nur eine Träne zu vergießen und
während mein Herz bricht, muß ich lächeln.
– – Wir müssen jetzt scheiden und das
für immer, aber wenn es Ihnen einen Trost gewähren
kann, so will ich Ihnen zum Abschied sagen, daß ich nichts
vergessen, ich mich nicht gewandelt habe. Aber aus diesen Worten
dürfen Sie keine Hoffnung für die Zukunft
schöpfen – für uns kann es kein gemeinsames
Glück geben, wir müssen für ewig getrennt
bleiben. Leben Sie wohl und geben Sie mir zum Abschied das Versprechen,
daß Sie Ihr gräßliches Vorhaben nicht
ausführen werden; Sie wollen mich doch nicht noch
unglücklicher machen, als ich schon bin ... Vielleicht wird
auch noch dereinst der Tag kommen, an dem ich mich rechtfertigen kann.
Und nun zum letzten-, letztenmal Lebewohl, Prosper, Lebewohl
– Bruder!« ...
    Sie ging, Nina folgte ihr und Prosper blieb

Weitere Kostenlose Bücher