Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
anderen Grund, ich wollte
auch wissen, ob er argwöhnischer Natur ist – und
auch dies weiß ich nun.«
    Während sie sprachen, waren sie langsamer gegangen
und zuletzt stehen geblieben. Verduret hatte den Kopf gewendet, als
suche er jemand mit den Blicken und in der Tat kam Cavaillon
plötzlich auf sie zugelaufen. Er mußte es sehr eilig
gehabt haben, denn er hatte nicht einmal einen Hut aufgesetzt und war
so aufgeregt, daß er seinen Freund Prosper gar nicht
begrüßte und sich nur an Verduret wandte, dem er die
seinem Freunde unverständlichen Worte zuflüsterte:
»Sie sind seit einer Viertelstunde fort.«
    »Schon so lange? da ist Eile nötig. Vorher
aber nehmen Sie dies und übergeben Sie es ihr. Und nun machen
Sie, daß Sie in Ihr Bureau kommen, es war unvorsichtig von
Ihnen, ohne Hut davonzustürzen.«
    Verduret hatte das Zettelchen, das er vorher bei Prosper
geschrieben, hervorgezogen und Cavaillon eingehändigt und
dieser eilte was er konnte zurück.
    Prosper war von der ihm unverständlichen Szene
befremdet.
    »Sie kennen Cavaillon?«
    »Wie Sie sehen; aber wir haben keine Zeit zu
verlieren, kommen Sie rasch.«
    »Wohin?«
    »Das werden Sie sehen, folgen Sie mir.« Und
fast im Laufschritt eilte er vorwärts.
    Endlich machte er Halt, wendete sich zu Prosper, der atemlos
folgte, und sagte: »Wir sind zur Stelle.« Dann trat
er in ein Haus, führte Prosper zwei Stockwerk hinauf und hielt
vor einer mit einem Porzellanschild versehenen Tür, auf dem zu
lesen stand: » Modesalon «.
    Ohne anzuläuten, klopfte Verduret leicht zweimal an
und als ob jemand auf dies Zeichen gewartet hätte,
öffnete sich die Tür sofort.
    Eine ältere anständig gekleidete Frau
empfing die Ankömmlinge mit stummem Gruß und
führte sie in einen kleinen Warteraum.
    Verduret zeigte auf eine Tapetentür und fragte:
»Ist sie da drinnen?«
    »Ja,« entgegnete die Frau, »im
kleinen Salon.«
    Ohne weiteres öffnete Verduret die Tür und
schob Prosper sanft hinein.
    »Kaltes Blut,« flüsterte er ihm zu.
    Was soll die Mahnung? dachte Prosper und ließ den
Blick über das Gemach gleiten – aber schon
stieß er einen Schrei der Überraschung aus:
»Magda!«
    In der Tat stand das junge Mädchen in einer Ecke des
Salons vor einer Gliederpuppe und glättete an den Falten eines
prächtigen goldgestickten roten Samtkleides – das
ohne Zweifel ihr Ballkostüm war.
    Bei Prospers Ausruf wandte sie sich jäh, sie
erbleichte und war einer Ohnmacht nahe, sie klammerte sich an eine
Sessellehne, um nicht umzusinken.
    »Magda, Magda,« wiederholte Prosper, noch
immer fassungslos.
    Sie aber hatte inzwischen ihren Schwächeanfall
überwunden. Stolz richtete sie sich auf und sagte:
»Was gibt Ihnen die Kühnheit, meinen Schritten
nachzuspüren? Wie können Sie sich erlauben, mir zu
folgen und hier einzudringen?«
    Prosper hätte ihr gerne gesagt, daß er daran
unschuldig war, allein er fühlte sich außerstande,
ihr alles zu erklären und deshalb schwieg er.
    »Hatten Sie mir nicht Ihr Ehrenwort gegeben, niemals
den Versuch zu machen, mich wiederzusehen? Sind Sie so
wortbrüchig?«
    »Wohl habe ich Ihnen mein Wort gegeben –
allein – –« er hielt inne.
    »Fahren Sie fort.«
    »Es hat sich seit jenem Tage, an dem ich so schwach
war, jenen Schwur zu leisten, soviel ereignet, daß ich wohl
berechtigt wäre, ihn auf einen Augenblick zu vergessen. Aber
ein Zufall, oder vielmehr ein Wille, der nicht der meinige ist,
führt mich hierher, ich hatte keine Ahnung von dem
Glück, das mir bevorstand. Ach, daß ich Sie endlich
wiedersehe, wieder in Ihrer Nähe weile! Mein Herz erbebte vor
Seligkeit, als ich Sie erblickte, und Sie sind so unbarmherzig und
stoßen mich zurück! Als ob ich nicht ohnedies
unglücklich genug wäre!«
    »O, Sie wissen Prosper, daß ich den
innigsten Anteil an Ihrem Schicksal nehme, daß ich wie eine
Schwester für Sie fühle.«
    »Wie eine Schwester!« wiederholte Prosper
bitter, »ja, das ist das Wort, das Sie an jenem Tage
aussprachen, als Sie mich aus Ihrer Nähe verbannten. Wie eine
Schwester! Warum haben Sie mich dann drei Jahre lang hoffen lassen,
daß ich Ihnen mehr bin, denn ein Bruder? Ja, als wir die Tante
auf ihrer Wallfahrt nach Notre Dame de Fourrières begleiteten,
haben wir uns da nicht am frommen Ort ewige Liebe geschworen, Andenken
getauscht? Ich habe das Madonnenbildchen noch, das Sie mir gaben, aber
Glück – wie Sie mir damals wünschten, hat
es mir

Weitere Kostenlose Bücher