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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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mein lieber
Prosper, dann wäre meine Aufgabe erfüllt und wir
hätten den Dieb. Aber lassen Sie mich nur machen, jetzt haben
wir einen schlagenden Beweis in Händen, das übrige
wollen wir schon herausbringen. Zunächst will ich aber den
Hausmeister ins Verhör nehmen.«
    Er öffnete die Tür und rief hinaus.
    »Sie, guter Mann, kommen Sie herein.«
    Der Hausmeister näherte sich, er war ein wenig
verwundert, weil der Fremde hier den Herrn spielte.
    »Wer hat diesen Brief gebracht?« fragte
Verduret.
    »Ein Dienstmann, er sagte, der Gang sei schon
bezahlt.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ja, er steht an der Straßenecke.«
    »Holen Sie ihn.«
    Der Hausmeister ging und Verduret setzte sich an den Tisch,
auf welchem das Geld lag, zog ein Notizbuch aus der Tasche und
betrachtete bald die Banknoten, bald die Zahlen, die in seinem Buche
eingetragen waren. Endlich sagte er entschiedenen Tones:
»Diese Bankscheine hat Ihnen nicht der Dieb
geschickt.«
    »Sie meinen?«
    »Ich bin überzeugt davon, es wäre
denn, daß er mit außerordentlichem Scharfsinn begabt
ist, aber soviel steht fest, daß diese Tausendfrankscheine
nicht zu den aus Ihrer Kasse entwendeten gehören –
denn hier habe ich die Nummern der gestohlenen Banknoten.«
    »Ist es möglich!« rief Prosper
verblüfft, »die hatte ich nicht einmal
selbst!«
    »Aber die Bank hatte sie und das ist ein
Glück.«
    »Und Sie denken an alles!«
    Verduret lächelte schwach, aber er wurde sofort
ernst, erhob sich und ging nachdenklich auf und ab, dabei sprach er
halblaut vor sich hin und schien die Anwesenheit des anderen vollkommen
vergessen zu haben.
    »Da das Geld nicht vom Diebe herrührt, so
kann es nur von jener Person stammen, die zwar anwesend war, den
Diebstahl aber nicht abzuwenden vermochte und nun von Gewissensbissen
gemartert wird – meine Annahme, auf die mich der Strich an
der Kasse brachte, wird nun zur völligen
Gewißheit.«
    Prosper hörte staunend zu, begriff aber nichts, doch
wagte er nicht den Freund seines Vaters mit Fragen zu unterbrechen.
    »Wir müssen nun herausbringen,«
fuhr Verduret fort, »wer diese zweite Person ist.«
    Er nahm den Brief nochmals auf und las ihn aufmerksam durch.
    »Der Brief ist unzweifelhaft von einer Frau
verfaßt,« sagte er dann, »ein Mann
hätte seine Ausdrücke sorgfältiger
gewählt und nicht ›Hilfe‹ geschrieben, ein
Wort, das ja im höchsten Grade verletzend wirkt, aber die
Frauen ahnen nicht, wie töricht empfindlich die
Männer in gewisser Beziehung sind; die Schreiberin hat
wirklich helfen wollen und darum naturgemäß das Wort
Hilfe geschrieben, während ein Mann etwas von Darlehen oder
dergleichen gesprochen hätte ... Und vollends der Satz:
daß es ein Herz gibt und so weiter, kann nur von einer Frau
herrühren ...«
    »Wie sollte denn eine Frau in die Sache verwickelt
sein?« bemerkte Prosper.
    Aber Verduret achtete des Einwurfes nicht.
    Er ging mit dem Brief ans Fenster und betrachtete die
Buchstaben auf das sorgfältigste, denn er wollte herausfinden,
woher sie ausgeschnitten sein mochten.
    Es war ihm sofort klar, da die Schrift klein, der Druck sehr
sauber und das Papier sehr glatt war, daß der Ausschnitt weder
aus einer Zeitung, noch aus einem gewöhnlichen Buche stammen
konnte. Es waren besondere Buchstaben, die nicht allen Druckereien
eigen sind.
    »Ich hab's!« rief er plötzlich,
»die Worte sind aus einem Gebetbuche ausgeschnitten!
Übrigens können wir uns gleich überzeugen
...«
    Und rasch befeuchtete er die aufgeklebten Worte und
löste sie dann mit einer Stecknadel ab; auf der
Rückseite eines der Worte stand lateinisch: » Deus .«
    »Hab' ich's nicht gesagt?« rief er
befriedigt lächelnd. »Nun gilt es, auch das Gebetbuch
ausfindig zu machen ...«
    Er wurde durch den Hausmeister unterbrochen, der den
Dienstmann hereinführte.
    Verduret zeigte dem Mann den Briefumschlag.
    »Erinnern Sie sich, diesen Brief gebracht zu
haben?«
    »Gewiß, er ist ja sehr
auffällig.«
    »Und wer hat Ihnen den Brief übergeben, ein
Herr oder eine Frau?«
    »Ein Dienstmann.«
    »So; kennen Sie ihn?«
    »Nein, ich habe ihn noch nie gesehen.«
    »Hat er Ihnen vielleicht gesagt, wer ihm den Auftrag
erteilt hat?«
    »Ja, er sagte, ein Kutscher habe ihm auf dem
Boulevard den Brief übergeben.«
    Soviel Vorsichtsmaßregeln! dachte Verduret, die
Person will im Dunkeln bleiben – es wird ihr aber nichts
helfen – wir werden sie finden! und laut sagte er zum

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