Die Akte Nr. 113
stand
fest, daß Raoul, dem er sein ganzes Vertrauen geschenkt hatte,
ein Schurke war.
Indessen fuhr Josef Dubois in seinem Bericht fort:
»Gestern, nach dem Mittagessen, hat sich mein Herr Marquis wie
ein Bräutigam herausgeputzt; ich mußte ihn frisieren,
rasieren, parfümieren, kurz, wie einen Stutzer zurichten, dann
mußte ich einspannen und wir fuhren zu Herrn Fauvel.«
»Nicht möglich!« fiel Prosper
erstaunt ein, »nach den beleidigenden
Äußerungen am Tage des Diebstahls, hat er die
Keckheit wieder hinzugehen?«
»Jawohl, er war so keck und blieb noch obendrein den
ganzen Abend bis nach Mitternacht, was mir keineswegs angenehm gewesen,
denn es regnete in Strömen und ich saß auf meinem
Bocke und fror.«
»Wie sah er aus, als er wiederkam?«
»Nicht gerade sehr vergnügt, und als wir zu
Hause angekommen waren und ich das Pferd versorgt hatte, ging ich zu
ihm hinauf, um nach seinen Befehlen zu fragen, er aber hatte sich im
Schlafzimmer eingeschlossen und rief mir durch die Türe zu,
daß ich mich zum Teufel scheren möge.«
Josef stärkte sich durch einen Schluck Absinth, ehe
er fortfuhr: »Heute ist er spät aufgestanden, aber
seine Laune war noch immer nicht besser. Als dann Raoul, der auch
verdrießlich war, kam, haben sie sich gezankt und wurden
schließlich handgemein. Der Herr Marquis fuhr seinem jungen
Freund an die Gurgel, als ob er ihn erwürgen wollte, der aber
behende wie eine Katze, zog aus der Tasche ein hübsches
Dolchmesser und wenn ihn der Marquis nicht rasch losgelassen
hätte, wahrhaftig, ich glaube, der junge Herr hätte
Ernst gemacht.«
»Worüber stritten sie denn?«
»Ja, darüber kann ich leider nichts Genaues
sagen, weil die Schufte englisch sprachen, nur soviel ist
gewiß, daß es sich um Geld handelte.«
»Woher weißt du das?«
»Weil von den wenigen englischen Brocken, die ich
einmal gelernt habe, ich mir das Wort money , das Geld
bedeutet, merkte, nun, und dies Wort kam wiederholt in ihrem
Gespräch vor. – Zum Schluß beruhigten sich
die sauberen Kumpane wieder und hörten auch auf, englisch zu
sprechen, aber sie sagten nichts von Bedeutung, sie sprachen von dem
morgigen Kostümball, und erst als sich Raoul zum Weggehen
anschickte, und mein Herr Marquis ihn hinausbegleitete, sagte er: Wenn
der Auftritt also durchaus unvermeidlich ist, so mag er heute
stattfinden, bleibe also heute abend in Besinet zu Hause. Raoul
antwortete: 's ist gut.«
Unterdessen hatte sich der Saal mit Gästen, die nach
Wein oder Absinth riefen, gefüllt.
Verduret sagte zu Josef: »Geh jetzt, damit dein Herr
dich nicht vermißt; übrigens ist hier jemand, der
mich zu sprechen wünscht. Auf morgen also!«
Dieser Jemand war niemand anderes als Cavaillon; er blickte
ängstlich um sich und sah so verstört aus, als
wäre er ein Spitzbube, dem die Polizei auf der Fährte
ist.
Als er Verduret erblickt hatte, näherte er sich,
drückte Prospers Hand heimlich, aber er setzte sich nicht,
sondern blieb stehen, blickte nochmals um sich, ob ihn niemand
beobachtete und reichte dann Verduret ein Päckchen.
»Das hat sie in einem Schranke gefunden,«
sagte er.
Verduret öffnete das Paket, es enthielt ein
schön gebundenes Gebetbuch. Er blätterte darin und
bald hatte er die Seiten entdeckt, aus denen Worte ausgeschnitten waren.
»Ich war zwar im vorhinein davon
überzeugt,« sagte er zu Prosper, indem er ihm das
Buch hinreichte, aber nun haben wir einen handgreiflichen Beweis, der
allein schon hinreicht, um Ihre Unschuld darzutun.«
Beim Anblick des Gebetbuches erschrak Prosper, er kannte es
gar wohl, hatte er es doch selbst, damals bei jener Wallfahrt, Magda
zum Geschenk gemacht. Auf der ersten Seite stand von seiner Hand die
Inschrift: »Andenken an Notre Dame de
Fourriéres.«
»Magdas Gebetbuch!« rief er aus.
Verduret antwortete nicht, er war aufgestanden und einem
jungen Burschen entgegengegangen, der ihm einen Brief
überreichte. Kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, als er
in großer Aufregung zu Prosper zurückkehrte und
sagte: »Wir haben sie vielleicht, rasch, rasch.«
Und ohne dem armen Cavaillon ein Wort zu sagen, zog er Prosper
mit sich fort, nachdem er ein Fünffrankstück auf den
Tisch geworfen hatte.
»Um Himmels willen, was geht denn vor?«
fragte Prosper.
»Kommen Sie nur, wir haben keine Zeit zu
verlieren,« antwortete Verduret und schritt eiligst auf einen
Droschkenstandplatz zu.
»Was verlangen Sie für
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