Die Akte Nr. 113
eine Fahrt nach
Besinet?« fragte er den Kutscher, dessen Pferde ihm die besten
schienen.
»Ja, bei dem Hundewetter – und
spät ist es auch schon« – versetzte der
Kutscher, »kann ich unter fünfundzwanzig Frank nicht
fahren.«
»Sie sollen fünfzig haben, wenn es Ihnen
gelingt, einen Wagen, der eine halbe Stunde Vorsprung hat,
einzuholen.«
»Steigen Sie nur ein,« sagte der Kutscher,
»meine Pferde verstehen ihr Handwerk.«
9. Kapitel
Besinet ist ein hübsches freundliches
Dörfchen, mit netten Villen, die die Pariser gerne zum
Sommeraufenthalt benutzen.
An einem Kreuzweg, der in eine Allee einmündete,
ließ Verduret halten, der Kutscher hatte seine
fünfzig Frank verdient, denn nur etwa dreißig Meter
von ihnen fuhr der Wagen, den sie verfolgt hatten.
Verduret stieg zuerst aus und hielt dem Kutscher eine Banknote
hin.
»Da haben Sie Ihre versprochene Belohnung. Halten Sie
nun beim ersten Gasthaus, das Sie im Dorfe finden und warten Sie eine
Stunde auf uns, wenn wir bis dahin nicht dort sind, können Sie
nach Paris zurückkehren.«
Der Kutscher dankte wortreich, aber die beiden Herren
enteilten. Das Wetter war noch schlechter geworden, es regnete in
Strömen und der Sturm heulte, daß es unheimlich klang.
Bald hatten sie ihr Ziel erreicht, vor der eisernen
Gittertür einer abgelegenen Villa stand ein Wagen, derselbe,
dem Verduret und sein Begleiter gefolgt waren. Der Kutscher
saß, in seinen Mantel gehüllt, auf dem Bocke und
schlief, trotz Sturm und Regen. Verduret trat an den Wagen heran,
rüttelte den Kutscher und sagte: »He,
aufgewacht.«
Der Kutscher fuhr empor und griff mechanisch in die
Zügel, denn er glaubte, sein Fahrgast sei
zurückgekommen, als er aber beim flackernden Schein seiner
Laternen in dieser abgelegenen Gegend plötzlich zwei fremde
Männer erblickte, erschrak er und sagte, indem er die Peitsche
ergriff: »Ich bin nicht frei, ich bin bestellt.«
»Das weiß ich,« entgegnete
Verduret, »ich will weiter nichts als eine Auskunft,
für die ich Ihnen fünf Frank gebe. Ist Ihr Fahrgast
nicht eine ältere Dame?«
Den furchtsamen Kutscher erschreckte Anliegen und Frage noch
mehr.
»Machen Sie, daß Sie fortkommen, sonst rufe
ich um Hilfe,« sagte er.
Verduret trat zurück. »Kommen Sie,«
flüsterte er Prosper zu, »der Dummkopf ist imstande,
wirklich Lärm zu schlagen und dann ist es mit unserem Plane
aus. Nun handelt sich's darum, auf einem anderen Weg als durch das
Gittertor hineinzukommen.«
Sie schlichen um die Gartenmauer herum und suchten eine leicht
übersteigbare Stelle; aber in der Dunkelheit war dies schwer
zu finden, zumal die Mauer etwa zehn bis zwölf Fuß
hoch und ziemlich gleichmäßig war. Aber Verduret
ließ sich nicht abschrecken, war er doch ein gewandter Turner,
er suchte nur Raum, um einen Anlauf nehmen zu können und
saß mit einem Sprunge rittlings auf der Mauer. Prosper
staunte, er hätte dem dicken Mann diese Gelenkigkeit gar nicht
zugetraut. Er selbst war weniger geschickt und Verduret mußte
ihm beim Überklettern behilflich sein.
Als sie in dem Garten, der die Villa umgab, waren, sagte
Verduret: »Nun beschreiben Sie mir einmal das Innere des
Hauses. Was ist das für ein Zimmer, aus dem wir Lichtschimmer
sehen?«
»Das ist Raouls Arbeitszimmer, daneben sind zwei
Salons ...«
»Wo hält sich die Dienerschaft auf?«
Raoul hat jetzt keine, ein Ehepaar aus dem Dorfe besorgt
tagsüber den Dienst und geht abends wieder heim.«
Um so besser, so sind wir ungestört und werden wohl
erfahren, was Raoul mit der Person, die zu dieser Stunde und bei diesem
Wetter hergekommen ist, zu verhandeln hat.«
»Was haben Sie vor?«
»Wir wollen uns ins Haus schleichen und horchen,
sollte ein Geräusch unsere Anwesenheit verraten –
ei, wozu sind Sie denn sein Freund? Sie treten einfach ein, als ob Sie
zu Besuch kämen.«
Leider ließ sich der Plan nicht ausführen,
denn das Haustor war versperrt, Verduret rüttelte vergeblich
daran. Auch die Fenster des Erdgeschosses waren geschlossen, die
Rolläden herabgelassen, so daß an ein Eindringen
nicht zu denken war.
Verduret war außer sich, er lief um das Haus herum
und brummte.
»Die Einbrecher sind wirklich vernünftige
Leute, die haben immer Dietriche bei sich, in solch dumme Lage, wie wir
uns nun befinden, können sie nicht geraten! ... Wenn wir nur sehen könnten, was da oben vorgeht,« rief er
plötzlich, indem er auf das beleuchtete Fenster
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