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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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hinaufwies
– die Lösung des Rätsels ist vielleicht
dort und wir stehen hier ohnmächtig, zur Untätigkeit
verdammt!«
    Er knirschte vor Wut mit den Zähnen und stampfte mit
den Füßen.
    »Und ich muß, ich muß hineinsehen
und sollte ich auf der glatten Wand hinaufklettern!« rief er.
    Plötzlich sagte Prosper: »Wenn ich nicht
irre, muß hier irgendwo im Garten eine Leiter sein.«
    »Und das fällt Ihnen erst jetzt ein? Kommen
Sie rasch – wo glauben Sie denn, sie gesehen zu
haben?«
    »Ich glaube ganz rückwärts im
Garten, bei einem Lusthäuschen.«
    Richtig fand sich die Leiter vor und triumphierend trug sie
Verduret zum Hause. Als er sie aber an die Mauer anlehnte, erwies sie
sich als um mindestens eineinhalb Meter zu kurz.
    »O weh,« sagte Prosper niedergeschlagen,
»wir können das Fenster nicht erreichen.«
    »Doch, wir werden es erreichen,« entgegnete
Verduret und rasch entschlossen, hob er die schwere Leiter empor, legte
die unterste Sprosse auf seine Schultern, hielt die Seitenstangen mit
den Händen fest und legte sie oben an das Fenster
an.»So, nun steigen Sie auf,« sagte er zu Prosper.
    Prosper war äußerst gespannt und aufgeregt.
Obgleich sonst kein besonders geschickter Turner, verlieh ihm die
Aufregung eine ihn selber überraschende Gewandtheit. Leicht
schwang er sich hinauf und bestieg die Leiter, die unter seinem Gewicht
zitterte und schwankte. Aber kaum hatte er das Fenster erreicht und
einen Blick hineingeworfen, als er einen furchtbaren Schrei
ausstieß, der zum Glück im Tosen des Sturmes
verhallte. Er verlor jeden Halt und stürzte herab.
    Der Boden war vom Regen ganz aufgeweicht, so daß
Prosper sich bei dem Sturze nicht erheblich verletzt hatte. Indes
erschrak doch Verduret heftig, rasch entledigte er sich der Leiter und
eilte zu dem Gestürzten.
    »Haben Sie sich weh getan? Was ist geschehen, was
sahen Sie?« rief er.
    Prosper sprang empor; er befand sich in einer geistigen
Verfassung, die ihn gegen körperliche Schmerzen unempfindlich
machte: er wußte nicht einmal, ob er verletzt war.
    »Der Elende, der Elende!« stieß er
hervor. Erst auf wiederholtes Fragen und Drängen Verdurets
antwortete er: »Magda ist oben, allein mit Raoul.«
    Verduret war sprachlos, er hatte einen anderen Namen erwartet.
Aus den wenigen Zeilen, die ihm Nina hatte zukommen lassen, vermutete
er, daß Frau Fauvel die Fahrt nach Besinet unternommen
hätte.
    »Ist es wirklich Magda?« fragte er,
»täuschen Sie sich nicht?«
    »Nein, es ist keine Täuschung
möglich, ich habe Magda genau erkannt, und nun weiß
ich auch, was Nina in jenem Briefe, von dem ich ein Bruchstück
fand, angedeutet hat, dieses schändliche Geheimnis also war
es, das sie entdeckte. – Und ich habe Magda wie eine Heilige
verehrt und ihn für einen treuen ehrlichen Freund gehalten,
dem ich mein ganzes Vertrauen schenkte und nun – es ist
gräßlich, schändlich – er ist ihr
Geliebter – ich diente ihnen nur zum Gespött
...!«
    Verduret hörte nicht auf Prospers Klagen, er war
über seinen Irrtum ganz verblüfft und dachte nach,
was ihn eigentlich auf die falsche Fährte gebracht hatte.
    Trotzdem er aber von seinen eigenen Gedanken ganz eingenommen
war und trotz der Dunkelheit bemerkte er, daß Prosper gegen
das Haustor stürzen wollte; mit eisernem Griff am Arme hielt
ihn Verduret fest.
    »Was wollen Sie?«
    »Hinein will ich! Nicht wie ein Dieb mich heimlich
einschleichen, sondern als Richter, als Rächer, ich will
Lärm schlagen, sie müssen mir öffnen
– ich will sie töten! ... Lassen Sie mich
...!«
    Aber Verduret hielt ihn wie in einem Schraubstock fest, und
als Prosper sich zur Wehr setzen wollte, entstand ein kurzes Ringen,
bei dem Verduret Sieger blieb.
    »Haben Sie den Verstand verloren? Sie würden
nur alles verderben und um Ihre Hoffnung, Ihren ehrlichen Namen wieder
zu erlangen, wäre es geschehen.«
    »Was liegt daran? Ich will mich
rächen.«
    »Ei, so rächen Sie sich doch!« rief
Verduret ärgerlich. »Sie reden wie ein kleines Kind.
Womit wollen Sie sich denn rächen, wie wollen Sie sie denn
töten? Haben Sie Waffen? Nein, Sie wollen sich wahrscheinlich
auf Raoul stürzen, mit ihm ringen – sind Sie aber
gewiß, daß Sie der Stärkere sind? Indes entflieht Magda, erreicht ihren Wagen
und fährt davon.«
    »Ich werde ihn fordern.«
    »Man schlägt sich nicht mit einem Manne, der
fürs Zuchthaus reif ist.«
    Prosper war so betroffen, daß er nicht

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