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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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sofort
antwortete, er sah ein, daß Verduret recht hatte.
    »Was soll ich tun?« fragte er endlich
kleinlaut.
    »Warten, die Rache ist eine Frucht, die man ausreifen
lassen muß. Ihre Stunde wird kommen; vor allem anderen haben
Sie die Pflicht, Ihre Unschuld zu beweisen, Ihre Ehre wieder
herzustellen. Und was Magda betrifft – wer sagt Ihnen,
daß sie aus eigenem Antriebe hier ist? Wissen wir nicht aus
ihrem eigenen Munde, daß sie sich opfert? Ein anderer Wille
als ihr eigener zwang sie, Sie aufzugeben, kann es nicht wieder jener
andere Wille sein, der sie zu diesem Schritte
drängte?«
    Prosper lauschte mit Begier diesen Worten, die ihm einen
Schimmer von Hoffnung wiedergaben und seufzte: »O, wenn Sie
recht hätten, wenn ich glauben dürfte.«
    »Ich würde die Wahrheit sofort wissen, wenn
ich nur ins Fenster sehen könnte...«
    »Ich will die Leiter halten, wenn Sie mir
versprechen, mir genau zu sagen, was Sie gesehen und was Sie
darüber denken.«
    »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sie sollen die
Wahrheit erfahren.«
    Sofort nahm Prosper die Leiter, hob sie mit einer Kraft in die
Höhe, die er sich selber kaum zugetraut hätte, und
legte sie mit der untersten Sprosse auf seine Schultern, wie es
früher Verduret gemacht hatte.
    »Steigen Sie hinauf,« sagte er.
    Im Nu war Verduret oben und er kletterte so geschickt und
leicht empor, daß die Leiter nicht einmal schwankte.
    Prosper hatte sich nicht getäuscht: es war wirklich
Magda, die sich zu dieser Stunde allein bei Raoul von Lagors befand.
    Aber Verduret merkte sofort, daß er keiner
Liebesszene beiwohnte. Magda stand, in Hut und Mantel, mitten im Zimmer
und sprach mit großer Lebhaftigkeit. Ihre Mienen, ihre
Bewegungen drückten Entrüstung und Verachtung aus.
    Raoul saß auf einem niederen Sessel am Kamin und
stöberte mit einem Schürhaken im Feuer herum. Von
Zeit zu Zeit zuckte er die Achseln und seine Miene zeigte deutlich,
daß ihm Magdas Worte kein Vergnügen bereiteten.
    Verduret würde viel darum gegeben haben, wenn er das
Gespräch hätte vernehmen können, aber der
Sturm blies zu heftig und es drang auch nicht das leiseste
Geräusch durch das geschlossene Fenster.
    Verduret beobachtete Raouls Gesicht, das von der am Kamin
stehenden Lampe voll beleuchtet wurde, er hoffte aus seinem Mienenspiel
den Sinn der Szene zu erraten.
    Raouls Gleichgültigkeit war offenbar gemacht, denn
zeitweilig zuckte er zusammen, oder er stieß den Feuerhaken
heftiger in die Glut – Magdas Vorwürfe mochten ihn
allzu schwer treffen.
    Magda indes schien, da die Vorwürfe nichts halfen,
sich aufs Bitten zu verlegen, sie faltete die Hände, ihr
Gesicht drückte Verzweiflung aus und nicht viel hätte
gefehlt, so wäre sie niedergekniet.
    Raoul aber wandte den Kopf ab, seine Antwort mochte nur ein
kurzes »Nein« sein.
    Zwei- oder dreimal wandte sie sich zum Gehen, aber immer
wieder kehrte sie zurück und ihre Bitten, ihre Vorstellungen
schienen immer dringender zu werden.
    Endlich hatte sie wohl die richtige Seite angeschlagen, denn
Raoul erhob sich, öffnete die oberste Schublade eines
zierlichen Schränkchens, das neben dem Kamin stand, zog ein
Bündel Papiere heraus und hielt es ihr hin.
    Was bedeutet das? dachte Verduret, sollte das
Fräulein Liebesbriefe zurückverlangt haben?
    Aber Magda war offenbar mit dem Bündel allein nicht
befriedigt, aufs neue sprach sie eindringlich auf ihn ein und schien
noch anderes zu begehren, Raoul aber weigerte sich entschieden, ihren
Wünschen zu entsprechen. Da warf sie das Bündel auf
den Tisch, es löste sich und einzelne Blätter sielen
heraus. Verduret stutzte, er konnte sie ziemlich genau sehen, es waren
farbige Zettel von besonderer Form.
    Potztausend, dachte Verduret, das sind keine Liebesbriefe, das
sind, wenn mich nicht alles täuscht – Pfandscheine
aus dem Leihhause!
    Magda suchte hastig unter den Zetteln, sie wählte
einige aus und steckte sie in die Tasche, die anderen ließ sie
liegen.
    Nun wandte sie sich wieder zum Gehen. Raoul ergriff die Lampe
und leuchtete ihr hinaus.
    Da es nichts mehr zu sehen gab, stieg Verduret wieder herab.
Er war sehr nachdenklich gestimmt.
    Aber Prosper wollte er nicht sofort Rede stehen, die Leiter
mußte vorerst versteckt werden, wie leicht konnte Raoul,
nachdem er Magda an den Wagen begleitet hatte, einige Schritte
– trotz des schlechten Wetters im Garten auf und ab gehen, um
sich nach der stattgehabten Aufregung zu beruhigen und

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