Die Akte Nr. 113
schlängelte sich durch mehrere Gruppen und als er
endlich
einen günstigen Platz hinter dem Kameliengebüsch
gefunden hatte, erhob
sich Magda, um einem Tänzer, der sie abholte, in den Ballsaal
zu
folgen. Gleichzeitig entfernte sich Raoul, ging auf Clameran zu und
flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Offenbar sind die beiden armen Damen in den Krallen jener
Schufte, dachte der Bajazzo, aber was mag da vorgehen?
Plötzlich entstand eine lebhafte Bewegung: Im
Hauptsaale sollte ein
großer Maskenumzug stattfinden, man wußte,
daß prachtvolle Gruppen dazu
angemeldet waren und wollte die Herrlichkeit sehen; im Nu war der
Wintergarten und die Nebensäle fast leer und nur wenige, die
das große
Gedränge verabscheuten und lieber bequem im Kühlen
saßen, blieben
zurück.
Nun schien dem Bajazzo die günstige Stunde
für sein Vorhaben gekommen.
Er schwang seine Fahne, klopfte mit seinem Stöckchen,
während er
sich nächst der Türe in einiger Entfernung von Frau
Fauvel aufstellte.
Er begann damit einen Trommelwirbel so geschickt nachzuahmen,
daß alle
Zurückgebliebenen überrascht aufsprangen und ihn
umringten. Nun ließ er
ein Konzert von Pauken und Trompeten vernehmen, daß sich seine
Zuhörer
lachend die Ohren zuhielten und schließlich ließ er
eine Rede mit so
ungeheuerer Zungenfertigkeit von Stapel, daß ihn seine
Kollegen vom
Jahrmarkt sicher beneidet hätten.
Er stellte sich als Schaubudenbesitzer und Theaterdirektor vor
und
lud die geehrten Herrschaften zur Besichtigung ein, namentlich
rühmte
er das chinesische Trauerspiel, das seine Gesellschaft zur
Aufführung
brächte und um dem hochgeschätzten Publikum einen
kleinen Begriff von
dem wunderbaren Drama zu geben, sagte er, wolle er den Inhalt
erzählen
und an den Bildern seiner Fahne erläutern.
Nach dieser Einleitung gab es wieder einen Trommelwirbel und
einen
dröhnenden Paukenschlag und dann fuhr er fort: »Hier,
meine verehrten
Damen und Herren,« sagte er, indem er auf das erste Bild
zeigte,
»erblicken Sie die schöne Mandarinenfrau Li-Fo. Sie
ist von ihren
Kindern umgeben, ihr Gemahl, der große Mandarin Fo-Fo steht
ihr zur
Seite und sieht sie liebend an. Die Familie ist glücklich,
weil die
Frau tugendhaft ist und Tugend beglückt, wie Konfuzius so
schön sagt.«
Unwillkürlich hatte sich Frau Fauvel dem
Marktschreier genähert, indem sie sich erhob und auf einem
näheren Sessel Platz nahm.
»Können Sie das Bild auf der Fahne
erkennen?« fragte ein dicker
Türke einen mageren Spanier. »Stellt es wirklich das
vor, was er sagt?«
»Es kann ganz gut eine Mandarinenfamilie
vorstellen,« entgegnete der Spanier, »aber ebensogut
könnte es ein Rübenfeld sein...«
Ein neuer Trommelwirbel unterbrach ihn und der Bajazzo rollte
ein zweites Bild auf.
»Hier sehen wir die schöne Li-Fo wieder,
aber o – was ist aus ihrer
Schönheit geworden? sie ist entstellt, denn ach, sie hat ihre
Tugend
und Ehrbarkeit verloren und da floh die Schönheit entsetzt.
Nun weint
die unglückliche Mandarinenfrau, sie schaut in ihren silbernen
Spiegel
und erkennt, daß sie über Nacht grau geworden!
Verzweifelt rauft sie
sich die Haare aus, besonders die weißen – aber es
hilft nichts! Was
war mit unserer schönen Mandarinenfrau geschehen? Ach,
jammervolle
Geschichte! Eines Tages erblickte sie in den Straßen von
Peking einen
bildhübschen jungen Taugenichts und verliebte sich in
ihn!«
Mit tragischem Tone und Gebärde hatte der Bajazzo die
letzten Worte
vorgetragen, und sich dabei so gewendet, daß er Frau Fauvel
gerade
gegenüberstand und ihm keine Bewegung ihres Gesichtes entgehen
konnte.
»Die Geschichte ist um so jammervoller,«
fuhr er salbungsvoll fort,
»als Li-Fo auch ihre Jugend verloren hat, und sie, die
alternde, die
Mutter erwachsener Söhne, liebt einen Jüngling! Ach,
sie fühlt ja ihre
Torheit, sie sieht ein, daß er ihre Leidenschaft
unmöglich teilen kann
und doch vermag sie ihr Herz nicht von ihm
loszureißen.«
Der Bajazzo beobachtete, während er seinen
Zuhörern die Bilder
erklärte, Frau Fauvel scharf, aber seine Worte machten
offenbar nicht
den geringsten Eindruck auf sie, sie saß in ihren Sessel
zurückgelehnt
und blickte klaren Auges und lächelnd die Bilder der Fahne an.
Potzblitz, dachte der Bajazzo, sollte ich mich doch geirrt
haben?
»Am dritten Bild,« fuhr er laut fort,
»bitte, meine Herrschaften,
betrachten Sie es genau, sehen wir
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