Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
möglich zu machen, aber
Neid und Bosheit, die an ihr zehrten, ließen sie zu keinem
Lebensgenüsse kommen.
    Zwischen den beiden benachbarten Familien bestand ein
jahrhundertealter Haß – so etwa wie zwischen den
Montecchi und Capuletti – sie wußten selber nicht
recht warum. Es hieß, daß unter Heinrich IV. ein
Laverberie eine Clameran verführt und daß es Duelle,
Mord und Totschlag gegeben hätte.
    Natürlich verkehrten die beiden feindlichen Familien
nicht miteinander, aber sie konnten es nicht verhindern, manchmal bei
Gutsnachbarn zusammenzutreffen; dann behandelte die Gräfin den
Marquis, den sie bei sich nur mit dem Namen
»Einfaltspinsel« bezeichnete, wie eitel Luft,
während er um die »alte Hexe,« wie er sie
nannte, einen möglichst großen Bogen beschrieb.
    Die alte Gräfin hatte eine wunderschöne
junge Tochter, namens Valentine, und bei einem Feste geschah es,
daß Gaston und Valentine sich zum erstenmal erblickten, und
was seit Romeos und Julias Zeiten sich schon unzähligemal
ereignet hatte, ereignete sich wieder: die Kinder der feindlichen
Eltern verliebten sich ineinander!
    Valentine war in völliger Weltabgeschiedenheit
herangewachsen, sie war engelsgut und wußte in ihrer
Herzenseinfalt nicht was Sünde sei.
    Als sie daher eines Abends Gaston in den Park, in welchem sie
lustwandelte, eintreten sah, fand sie daran durchaus nichts
Böses oder Unschickliches, im Gegenteil, sie freute sich, ihn,
an den sie seit jenem Feste immerfort denken mußte,
wiederzusehen, und sie machte aus ihrer Freude kein Hehl. Gaston kam
wieder und wieder und bald schlugen die Herzen der beiden nicht nur
füreinander, sondern auch aneinander.
    Aber ach, sie wußten, daß ihre Liebe
hoffnungslos sei, daß nichts den törichten
Haß ihrer Eltern brechen könne und darum mischten
sich in ihre Liebesbeteuerungen Seufzer und Tränen.
    Die Liebenden mußten bei ihren
Zusammenkünften äußerst vorsichtig zu Werke
gehen; zwar waren im Parke keine Späher zu
befürchten, der war so groß und hatte so dichte
Laubgänge, daß sie sich leicht verbergen konnten; die
Schwierigkeit lag für Gaston darin, den Park von Laverberie zu
erreichen. Zwischen den beiden Gütern floß die Rhone
und der Jüngling wagte nicht, seinen Kahn zur
Überfahrt zu benutzen, aus Furcht, das Fahrzeug am Ufer
könnte zum Verräter werden, er getraute sich auch
nicht mit der Fähre, die allgemein benutzt wurde, sich
über den Fluß setzen zu lassen, wie leicht
könnten dem Fährmann die häufigen Fahrten
auffallen; Gaston machte es also wie Leander und schwamm zu der
Geliebten hinüber.
    Wie erschrak das junge Mädchen, als sie ihn das erste
Mal aus den Fluten auftauchen sah! Die Rhone war an dieser Stelle nicht
besonders breit, aber ungemein reißend und galt selbst bei
kühnen Schwimmern als äußerst
gefährlich. Valentine beschwor den Geliebten
tränenden Auges, sich nie wieder dieser Gefahr auszusetzen,
allein er kam wieder und wieder. Er versicherte ihr, daß das
Unternehmen ganz ungefährlich sei, aber damit sie sich nicht
beunruhige und die Stunde seines Kommens vorauswisse, zündete
er jedesmal, ehe er sich auf den Weg machte, eine Lampe an, die er ins
Fenster seines Zimmers stellte; und auch sie machte ein Gegenzeichen;
wenn in ihrem Fenster ein Licht erschien, bedeutete es, daß
sie ihn erwarte, während es dunkel blieb, wenn sie durch ihre
Mutter verhindert war, sich in den Park zu begeben.
    Die Liebenden glaubten, so allen Vorsichtsmaßregeln
genügt zu haben und gaben sich der Wonne des Beisammenseins
ganz hin, ach, waren es ja doch nur kargbemessene Augenblicke!
    Valentine konnte Gastons Kommen Zaum erwarten. Sobald das
Zeichen am Fenster erschien und sie als Gegenzeichen ihre Lampe
entzündet hatte, eilte sie hinab in den Park zur Rhone. Und
wenn dann ihr Leander den Fluten entstieg, da warf sie sich in seine
Arme, an seine Brust – unbekümmert um ihre
hübschen weißen Mullkleidchen – und weinte
vor Glück und Leid.
    Dann – sie ließ es sich nicht nehmen
– warf sie ihm einen Mantel über, den sie in einem
hohlen Baum verborgen hatte, und lustwandelten Arm in Arm durch die
dunkeln Laubgänge oder am Ufer des Flusses. Manchmal sahen sie
einen Kahn nahe dem Ufer wie einen Schatten vorübergleiten,
sie meinten, daß es verspätete Fischer
wären, indes saßen Neugierige in dem Fahrzeug, die
sich überzeugen wollten, ob das Gerücht, das bis zu
ihnen gedrungen, auf

Weitere Kostenlose Bücher