Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
Wahrheit beruhe. Und jetzt sahen sie es mit
eigenen Augen und hatten nicht genug Zungen, um es weiter zu
verbreiten: Romeo und Julia, Hero und Leander sind wiedererstanden! Wer
es zuerst entdeckt, wer es zuerst gesagt, das wußte niemand,
genug, in ganz Tarascon und der Umgebung sprach man von nichts anderem.
Nur die Liebenden ahnten nicht, daß sie den allgemeinen
Gesprächsstoff bildeten, wie auch glücklicherweise
weder dem Marquis noch der Gräfin etwas von den
Gerüchten zu Ohren gekommen war.
    Die Gräfin, die mit Genugtuung bemerkte, daß
ihre Tochter mit jedem Tage schöner wurde, entwarf schon
großartige Zukunftspläne. Trotz der Jugend Valentines
gedachte sie sie möglichst bald zu verheiraten. Sie wollte sie
im kommenden Winter nach Paris führen und zweifelte nicht,
daß sich bald vornehme und reiche Freier einstellen
würden. Reich, ungeheuer reich mußte ihr
künftiger Schwiegersohn sein, denn die Gräfin hatte
das eingeschränkte Leben auf dem Lande satt.
    Der Sommer, der Herbst verging den Liebenden wie ein Traum,
aber als sich mit dem Spätherbste die Regenzeit einstellte,
begannen neue Sorgen. Die Rhone war hoch angeschwollen, brandete und
brauste und eine Überschwemmung war zu befürchten;
Gaston konnte nicht mehr daran denken, den reißenden Strom zu
durchschwimmen. Wenn er den Park von Laverberie erreichen wollte,
mußte er nach Tarascon gehen, wo eine Brücke ans
andere Ufer führte.
    Eines Abends, im November, erwartete Valentine ihren Freund
gegen elf Uhr. Er war nachmittags nach Tarascon gegangen, hatte dort
zur Nacht gespeist und war dann mit einem Freunde in ein Kaffeehaus auf
dem Marktplatz gegangen, um Billard zu spielen.
    Das Lokal war sehr voll und besonders machte sich eine Gruppe
junger Leute durch lärmendes Benehmen bemerkbar.
    Sie saßen in nächster Nähe des
Billards und als Gaston zu spielen begann, fingen sie zu zischeln an
und brachen dann in ein erzwungenes Gelächter aus.
    Dies Gelächter war offenbar boshaft gemeint, allein
Gaston schenkte ihm keine Beachtung, er war viel zu sehr in sein Spiel
vertieft, plötzlich aber fiel hinter ihm eine Bemerkung, die
laut genug gemacht worden war, um von ihm gehört zu werden.
Alles Blut wich aus seinem Gesichte, er warf sein Queue auf das Billard
und trat an den Tisch, wo die jungen Männer saßen.
Sie spielten Domino und gaben sich plötzlich den Anschein, als
wären sie ganz von ihrem Spiel eingenommen.
    Gaston wandte sich an den Sprecher von vorhin, einen
auffallend hübschen jungen Mann, mit herausfordernden Blicken,
der sich Julius Lazet nannte, und sagte: »Sie wagten es, eine
Bemerkung zu machen, die...«
    »Die ich wiederholen werde, so oft es mir
beliebt,« unterbrach ihn der andere höhnisch lachend,
»ich sagte, die adeligen Fräulein haben nichts vor
den Proletarierinnen voraus, ihr ›von‹ und ihre
Titel schützen ihre Tugend keineswegs.«
    »Sie haben sich unterstanden, einen Namen zu
nennen.«
    »Den ich ebenfalls ohne Scheu nochmals wiederhole:
ich habe von der hübschen Komtesse von Laverberie
gesprochen.«
    Der ziemlich laut geführte Wortwechsel erregte
natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit, alle Gäste
waren aufgesprungen und umringten die Streitenden; an den
höhnischen Blicken und boshaften Bemerkungen erkannte Gaston,
daß er von lauter Feinden umgeben war.
    Aber Gaston war nicht der Mann, vor der Gefahr
zurückzuweichen, er hätte es auch mit Hunderten
aufgenommen.
    »Nur ein Feigling,« rief er, »kann
so gemein und niedrig sein, eine junge Dame zu verleumden und zu
beleidigen, die weder Vater noch Bruder hat, um ihre Ehre zu
verteidigen!«
    »Wenn sie auch weder Vater noch Bruder hat, so fehlt
ihr doch der Verteidiger nicht, sie hat ja einen Liebhaber,«
entgegnete Lazet.
    Dies Wort brachte Gaston in solche Wut, daß er die
Hand hob und sie sausend auf Lazets Gesicht fallen ließ.
    Ein Entsetzensschrei, wie aus einem Munde, ging durch das
ganze Lokal: alle kannten Lazets Leidenschaftlichkeit und seine
herkulische Kraft.
    Mit einem Satze sprang er empor und fuhr Gaston an die Gurgel.
    Sein Freund wollte ihm zu Hilfe eilen, aber er wurde umringt,
mit Billardstöcken gestoßen, zu Boden geworfen,
halbtot getreten und unter einen Tisch geschleudert.
    Eine ungeheuere Verwirrung war entstanden, alle schrien und
drängten und wollten Lazet, der mit Gaston rang, zu Hilfe
kommen.
    »Laßt,« rief er,
»laßt, ich werde allein mit ihm fertig,

Weitere Kostenlose Bücher