Die Akte Nr. 113
zuckte die Achseln.
»Sie tun mir auch leid, aber – Not kennt
kein Gebot – übrigens kann die Geschichte nicht mehr
lange dauern, je früher du fertig wirst, je besser, dann seid
ihr alle erlöst.«
Raoul gehorchte, und in der Tat dauerte es nicht lange mehr
– der ganze Schmuck war ins Leihhaus gewandert!
Da faßte Frau Fauvel den Entschluß, sich an
den Marquis zu wenden. Er hatte sich die ganze Zeit über nicht
blicken lassen, da er bei seinem ersten Besuche nach seiner Reise von
ihr sehr kühl empfangen worden war. Sie fürchtete
Magda von ihrer Absicht Mitteilung zu machen, weil sie auf Widerspruch
gefaßt war, da sie aber nichts ohne ihr Vorwissen unternehmen
wollte, sprach sie mit ihr darüber, und zu ihrer Verwunderung
war Magda sofort damit einverstanden.
»Je früher du mit dem Marquis sprichst, je
besser ist es,« antwortete sie.
Frau Fauvel schrieb daher sofort an Clameran und ersuchte ihn,
sie am nächsten Tag zu erwarten.
Zur festgesetzten Stunde erschien sie im Hotel Louvre. Er
empfing sie mit ausgesuchter Höflichkeit, doch ließ
er durchmerken, daß er sich noch sehr gekränkt
fühle, weil sie ihn verkannt habe.
Sie erzählte ihm alles über Raoul und er
schien über das Betragen seines Neffen im höchsten
Grade entrüstet.
»Ich werde den Schelm schon Mores lehren!«
rief er.
Seine Empörung aber kannte keine Grenzen, als ihm
Frau Fauvel mitteilte, Raoul wende sich nur deshalb an sie, weil er von
ihm nichts annehmen wolle.
»Das ist eine unerhörte Frechheit,«
sagte er, »ich habe dem Jungen innerhalb vier Monaten
über 20 000 Frank gegeben und zwar nur deshalb, weil er immer
drohte, sich an Sie wenden zu wollen, wenn ich ihm nicht
willfahre.«
Frau Fauvels Gesicht drückte ein Erstaunen aus, das
einem Zweifel nicht unähnlich sah. Da erhob sich Clameran,
öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und entnahm
daraus Schuldscheine, die alle Raouls Unterschrift trugen. Er zeigte
sie ihr und sie konnte sich überzeugen, daß die Summe
dieser Scheine sich auf 23500 Franken belief.
»Und von mir hat er bare 40 000 Frank erhalten, den
Schmuck, der über 100 000 wert ist, nicht
eingerechnet,« sagte Frau Fauvel außer sich,
»was macht der Unglücksmensch mit dem vielen
Gelde?«
Clameran zuckte vielsagend die Achseln. Dann versprach er
Raoul noch selbigen Tages aufzusuchen und zur Rechenschaft zu ziehen,
und schließlich sagte er: »Gnädige Frau,
wenn Sie durch die Schlechtigkeit meines Neffen in momentane
Verlegenheit gekommen sein sollten – mein ganzes
Vermögen steht zu Ihren Diensten.«
Frau Fauvel lehnte dies Anerbieten zwar mit Dank ab, aber sie
war davon gerührt, und als sie nach Hause kam, sagte sie zu
Magda: »Ich glaube, wir haben uns geirrt, Clameran ist kein
schlechter Mensch.«
Aber das junge Mädchen ließ sich nicht so
leicht täuschen wie ihre Tante, sie durchschaute das Spiel,
war aber machtlos, dagegen anzukämpfen.
Inzwischen waren Clameran und Raoul zusammengetroffen.
»Bravo,« sagte der Oheim, »du hast
deine Sache gut gemacht, die Frauen sind vollständig
ausgepreßt, jetzt darfst du keinen Heller mehr verlangen,
deine Rolle ist ausgespielt.«
»Es ist auch die höchste Zeit, denn
wahrlich, ich hab' sie satt. Aber – was denkst du noch zu
tun?«
»Ich habe noch ein Hindernis aus dem Wege zu
räumen.«
Raoul verstand, daß er damit Prosper Bertomy meinte.
Clameran hatte es sich leicht gedacht, den jungen Mann zu
verderben.
Raoul hatte mit Geschick den Verleiter gespielt, er zog ihn zu
allen kostspieligen Vergnügungen mit, er veranlaßte
ihn, hoch zu spielen, aber da Prosper bei allem leidenschaftslos blieb,
so verlor er niemals die Herrschaft über sich selbst.
Zwar war seine Lage schlimm. Gläubiger
drängten ihn und er mußte zu bedenklichen
Auskunftsmitteln seine Zuflucht nehmen, allein er wäre
unfähig gewesen, eine Schlechtigkeit zu begehen.
»Es ist umsonst,« sagte Raoul zu Clameran,
»wenn du warten willst, bis sich Prosper an der Kasse
vergreift, kannst du bis an den Jüngsten Tag warten, eher
schießt er sich eine Kugel vor den Kopf.«
»Wir können ja auch das abwarten,«
sagte Louis kalt.
Und er wartete.
Inzwischen war Raoul wieder der gute, liebevolle Sohn
geworden. Er stellte seine verschwenderischen Gewohnheiten ein und
lebte bescheiden und eingezogen. Um seiner Mutter zu zeigen, wie
sparsam er sei, gab er seine kostspielige Stadtwohnung auf und bezog,
obgleich es
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