Die Akte Nr. 113
erscheine ich
als Retter. Sie haßt mich jetzt, aber mein Edelmut, meine
Uneigennützigkeit, und vor allem meine große Liebe zu
ihr, wird sie entwaffnen. Es gibt kein Weib, das einer großen
Leidenschaft auf die Dauer widerstehen könnte ...«
»Du vergißt, daß sie Prosper
liebt.«
»Sie wird ihn binnen kurzem verachten
lernen,« entgegnete Louis mit seinem bösesten
Lächeln. »Du weißt, Bertomy befindet sich
auf abschüssiger Bahn, er spielt, und Fräulein Nina
ist kostspielig – es wird der Tag kommen, wo er mit leeren
Händen dastehen wird ... Er ist Kassierer ...«
»O,« protestierte Raoul, »Prosper
ist ehrlich.«
»Schön, ich will es glauben, aber wenn man
Spielschulden hat, die binnen vierundzwanzig Stunden bezahlt werden
müssen, da tritt die Versuchung wohl auch an den Ehrlichsten
heran. Und – um es kurz zu sagen, er ist mir im Wege, er muß beseitigt werden, muß so dastehen, daß Magdas Gedanken sich mit Abscheu von ihm wenden.
– Und mit deiner Hilfe wird es nur gelingen, ihn in den
Sumpf, an dessen Rande er ohnehin steht,
hinabzustoßen.«
»Du mutest mir da eine Rolle zu, die mir wenig
behagt.«
»Möchtest du etwa gar auf einmal den
Moralischen spielen? Wenn man so noble Passionen hat wie du, und gar
keine Mittel, da darf man eben nicht zimperlich sein, wenn es gilt, im
trüben zu fischen.«
»Ich war leider nie reich genug, um
anständig sein zu können,« sagte Raoul
seufzend, »aber daß ich zwei wehrlose Frauen foltern,
und einen armen Teufel, der mich für seinen Freund
hält, ins Verderben stürzen soll, das widerstrebt mir
aufrichtig.«
Louis lachte und spottete über die
»Sentimentalität« seines Herrn Neffen, wie
er es nannte, so lange, bis Raoul darüber in Zorn geriet.
»Genug,« sagte er, »ich
weiß genau, daß ich zu weit gegangen bin, um noch
zurücktreten zu können. Es bleibt bei unseren
Abmachungen.«
Die beiden Spießgesellen schüttelten sich
die Hände und trennten sich im besten Einvernehmen.
Schon am nächsten Tag begann Raoul seine neue Rolle,
er wechselte plötzlich sein Betragen, und aus dem
rücksichtsvollen Sohn wurde wieder der leichtsinnige Patron,
der immer mit neuen und immer unsinnigeren Geldforderungen an die
Mutter herantrat.
Sie gab und gab, aber es dauerte nicht lange, so waren ihre
Mittel vollständig erschöpft; auch Magda, das
Cousinchen, wie er sie nannte, wurde von ihm gebrandschatzt und
mußte mit ihren kleinen Ersparnissen und ihrem Taschengelde
herhalten.
Um sich Geld für ihren leichtfertigen Sohn zu
beschaffen, verfiel Frau Fauvel auf schmähliche
Auskunftsmittel. Sie kaufte die für den Haushalt
nötigen Sachen und Lebensmittel entweder auf Kredit oder sie
stellte die Rechnungen, die sie ihrem Manne vorlegte höher, ja
sie erfand sogar Ausgaben, während sie sich in Wirklichkeit
auf das Äußerste einschränkte und sich jeden
Luxus versagte.
Was kommen mußte, kam. Eines Tages stellte Raoul
seine Geldforderung ungestümer denn je, er müsse
unbedingt sofort 2000 Frank haben.
»Aber,« erwiderte Frau Fauvel, »ich
besitze nichts mehr, ich habe dir ja alles, alles gegeben –
es bleibt mir nur mein Schmuck – wenn er dir helfen kann
– so nimm ihn.«
Trotz seiner Schlechtigkeit fühlte sich Raoul
erröten. Er empfand Mitleid mit der gütigen Frau, die
er betrog und beraubte – aber – es blieb ihm keine
andere Wahl, er besaß keinen eigenen Willen mehr und
mußte den Befehlen eines anderen gehorchen.
Er unterdrückte aber gewaltsam seine bessere Regung
und sagte barsch: »Gib mir den Schmuck, ich werde ihn
verpfänden.«
Die unglückliche Frau gab ihm ein Etui mit einem
herrlichen Diamantenhalsband. Raoul nahm's mit kurzem Danke und trug es
ms Leihhaus.
Aber er begnügte sich mit dem einen Stücke
nicht, nach und nach leerte sich Frau Fauvels Schmuckkästchen.
Armbänder, Ringe, Spangen, Ketten, alles, alles, was sie
besaß, wanderte ins Leihhaus, und als er sich noch immer und
immer nicht befriedigt zeigte, gab Magda, der unglücklichen
Tante zuliebe, auch ihre kleinen Schätze heraus.
Frau Fauvel weinte still, aber das junge Mädchen
zeigte ihm in ihrem Blicke so viel Verachtung, daß er sich
schämte.
»Ich kann nicht weiter fortfahren,« sagte
Raoul zu seinem Onkel, »wenn es sein muß, will ich
auf offener Landstraße die Leute überfallen und
ausrauben, aber diese armen wehrlosen Frauen zu Tode martern, dazu
fehlt mir der Mut!«
Clameran
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