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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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gekommen, wenn ich von dem Zustand meiner Tante gewußt hätte. Aber Herr Winzer rief mich erst heute morgen an, um mich zu bitten, sie zu besuchen.«
    »Normalerweise ist Herr Winzer um diese Zeit selbst hier«, bemerkte der Arzt.
    »Er mußte ganz plötzlich verreisen«, sagte Miller. »Jedenfalls hat er mir das heute morgen am Telefon gesagt. Er sagte, daß er ein paar Tage fortbleiben werde und bat mich, statt seiner ins Krankenhaus zu gehen.«
    »Er mußte verreisen? Das ist aber merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Der Arzt schwieg einen Augenblick lang unschlüssig und fügte dann hinzu: »Würden Sie mich entschuldigen?«
    Miller blieb in der Empfangshalle stehen. Der Arzt ging in ein angrenzendes kleines Büro. Miller hörte ihn durch die offene Tür telefonieren.
    »Er ist tatsächlich verreist? Heute morgen? Für ein paar Tage? Nein, nein, vielen Dank, Fräulein. Ich wollte von Ihnen nur bestätigt wissen, daß er heute nachmittag verhindert ist.«
    Der Arzt legte den Hörer auf und kehrte in die Halle zurück.
    »Seltsam«, murmelte er. »Herr Winzer hat Fräulein Wendel seit ihrer Einlieferung jeden Tag besucht. Ein ungewöhnlich fürsorglicher Mann. Nun, wenn er sie noch einmal sehen will, muß er aber bald zurückkommen. Es kann sehr rasch zu Ende gehen.
    Miller machte ein trauriges Gesicht.
    »Das sagte er mir am Telefon«, log er. »Armes Tantchen.«
    »Als Verwandter können Sie selbstverständlich zu ihr. Aber ich muß Sie bitten, den Besuch nicht über Gebühr auszudehnen. Sie ist kaum noch in der Lage, zusammenhängend zu sprechen. Also machen Sie es kurz.«
    Der Arzt brachte Miller einen langen Korridor hinunter in den hinteren Teil der Klinik, einer ehemaligen Privatvilla. Er bog in einen weiteren Gang ein und blieb am Ende vor einer Zimmertür stehen.
    »Hier liegt sie«, sagte er, forderte Miller zum Eintreten auf und schloß die Tür hinter ihm. Miller hörte, wie sich seine Schritte auf dem Gang entfernten.
    In dem Raum herrschte Halbdunkel. Erst als sich seine Augen an das trübe Licht des Winternachmittags durch den Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen gewöhnt hatten, erkannte er die geisterhaften Umrisse der Frau auf dem Bett. Man hatte ihr mehrere Kissen unter Kopf und Schultern geschoben, und ihr Gesicht war so blaß wie ihr weißes Nachthemd und das Bettzeug. Sie hielt die Augen geschlossen. Miller hatte wenig Hoffnung, den Schlupfwinkel des Fälschers von ihr zu erfahren.
    »Fräulein Wendel«, flüsterte er.
    Ihre Lider flatterten, und sie schlug die Augen auf.
    Sie starrte ihn mit so ausdruckslosem Blick an, daß er bezweifelte, ob sie ihn überhaupt sah.
    Sie schloß die Augen wieder und begann mit kaum hörbarer Stimme irgend etwas zu murmeln. Er beugte sich über sie, um die abgerissenen Sätze zu verstehen. Viel Aufschlug gaben sie nicht. Es war von Rosenheim die Rede – möglicherweise ihrem Geburtsort. Dann sagte sie etwas, das wie »Alle ganz in Weiß, so hübsch, so wunderhübsch« klang und in unverständliches Gemurmel überging.
    Miller beugte sich tiefer über sie.
    »Fräulein Wendel, können Sie mich hören?«
    Die sterbende Frau murmelte noch immer leise vor sich hin. Miller verstand nur die Worte: »Alle mit einem Gebetbuch und einem Blumenstrauß in der Hand, alle in Weiß und so unschuldig damals.«
    Miller runzelte die Stirn. Dann begriff er. Im Delirium erinnerte sie sich an ihre Erstkommunion.
    »Können Sie mich hören, Fräulein Wendel?« wiederholte er ohne Hoffnung auf eine Reaktion. Sie öffnete die Augen und starrte ihn an. Sie nahm wenig mehr wahr als den weißen Sweaterkragen, den schwarzen Stoff des Pullovers und seine schwarze Jacke. Zu seinem Erstaunen schloß sie wieder die Augen, und ihre flache Brust hob und senkte sich krampfhaft. Miller war beunruhigt und dachte daran, den Arzt zu rufen. Dann trat je eine Träne aus ihren Augen und rollte über ihre eingefallenen Wangen.
    Ihre Rechte tastete sich langsam über die Bettdecke zu seinem Handgelenk, mit dem er sich dort aufgestützt hatte, als er sich über sie beugte. Mit überraschender Kraft packte sie sein Handgelenk. Miller wollte sich schon losreißen und gehen, weil er überzeugt war, von ihr nichts über Klaus Winzers Verbleib zu erfahren – da sagte sie ganz deutlich: »Segnen Sie mich, Vater, denn ich habe gesündigt.«
    Einige Sekunden lang begriff er nicht. Ein zufälliger Blick auf seinen weißen Pullover und den schwarzen Stoff seines Blazers erklärte ihm ihre Täuschung. Er

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