Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Rückseite.
»Donnerwetter, und ich hatte gedacht, er sei in Südamerika.«
»Keineswegs. Das ist Vulkan. Seine Arbeit hat gegenwärtig ein entscheidendes Stadium erreicht. Falls Ihnen daher zu Ohren kommen sollte, daß irgend jemand unliebsame Fragen nach diesem Mann stellt oder sonstwie eine ungebührliche Neugier an den Tag legt, muß der Betreffende – nachhaltig – entmutigt werden. Eine Warnung, und wenn die nichts fruchtet, kurzen Prozeß. Haben Sie verstanden, Kamerad? Niemand, ich wiederhole, absolut niemand darf auch nur im entferntesten die Möglichkeit haben, Vulkans wahre Identität aufzudecken.«
Der Gruppenführer erhob sich. Sein Besucher beeilte sich, ebenfalls aufzustehen.
»Das wäre alles«, sagte Glücks. »Sie haben Ihre Weisungen.«
Kapitel 4
»Aber du weißt ja nicht mal, ob er überhaupt noch lebt.«
Peter Miller und Karl Brandt saßen in Millers Jaguar vor dem Haus des Kriminalinspektors. Miller hatte seinen Freund an dessen dienstfreiem Sonntag beim Mittagessen zu Hause angetroffen.
»Nein, das weiß ich nicht. Das ist logischerweise das erste, was ich herausfinden muß. Kannst du mir dabei helfen?«
Brandt überlegte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Tut mir leid, das kann ich nicht.«
»Und warum nicht?«
»Hör mal, ich habe dir das Tagebuch gegeben, um dir einen Gefallen zu tun. Ganz unter uns, sozusagen. Weil es mir einen Schock versetzt hat und weil ich dachte, da könnte eine Story für dich drin sein. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß du versuchen könntest, Roschmann aufzuspüren. Warum kannst du nicht einfach eine Story daraus machen, wie du auf das Tagebuch gestoßen bist?«
»Weil sich daraus keine machen läßt«, sagte Miller. »Da fehlt ganz einfach der Aufhänger. ›Seht doch, was ich da gefunden habe – ein Tagebuch, das aus losen Blättern besteht, auf denen ein alter Mann, der unlängst den Gashahn aufgedreht hat, um mit seinem Leben Schluß zu machen, ausführlich beschreibt, was ihm im letzten Krieg an Schrecklichem widerfahren ist.‹ Glaubst du vielleicht, das kauft mir irgendeine Illustrierte ab? Ich halte es für ein grauenerregendes, ein erschütterndes Dokument, aber das ist bloß meine persönliche Meinung. Es sind Hunderte von Tagebüchern aus der Kriegszeit erschienen. Die Leute wollen so etwas nicht mehr lesen. Mit dem Tagebuch allein ist bei keiner Illustrierten was zu machen.«
»Was willst du also damit anfangen?« fragte Brandt.
»Ganz einfach. Dafür sorgen, daß auf Grund der in dem Tagebuch erhobenen Anklagen eine großangelegte Fahndung nach Roschmann in Gang kommt. Dann habe ich meine Geschichte.«
Brandt klopfte seine Zigarettenasche im Aschenbecher am Armaturenbrett ab.
»Es wird keine großangelegte Fahndung geben«, sagte er dann. »Hör mal, Peter, vom Journalismus magst du einiges verstehen, aber was bei der Hamburger Polizei läuft und was nicht, das weiß ich doch wohl besser. Unser Job ist es, Verbrechen zu bekämpfen, die jetzt, im Jahre 1963, in Hamburg begangen werden. Kein vernünftiger Mensch wird ohnehin schon überforderte Kriminalbeamte von dieser Arbeit abziehen, damit sie nach einem Mann fahnden, dessen Verbrechen zwanzig Jahre zurückliegen und in Riga verübt worden sind. Das ist einfach nicht drin.«
»Aber könntest du die Sache nicht wenigstens zur Sprache bringen?« fragte Miller.
Brandt schüttelte den Kopf. »Nein. Ich nicht.«
»Warum denn nicht? Was ist denn los?«
»Weil ich mich auf so etwas nicht einlassen will. Bei dir ist das etwas anderes. Du bist alleinstehend und unabhängig. Du kannst irgendwelchen Schimären nachjagen, wenn du unbedingt willst, aber ich nicht. Ich habe Frau und Kinder, und ich denke gar nicht daran, womöglich meine Laufbahn aufs Spiel zu setzen.«
»Warum sollte deine Polizistenlaufbahn dadurch gefährdet werden? Roschmann ist doch ein Verbrecher, oder etwa nicht? Die Kriminalpolizei ist dazu da, Verbrecher zu jagen. Wo ist also das Problem?«
Brandt drückte seine Zigarette aus.
»Das kann ich dir nicht in drei Worten erklären. Es gibt bei der Polizei eine Art stillschweigender – na ja, Übereinkunft wäre zuviel gesagt. Es ist eher so eine generelle Einstellung, nichts Konkretes, eigentlich nur so ein Gefühl. Und dieses Gefühl besagt eben, daß es der Karriere eines jungen Polizeibeamten nicht förderlich sein kann, wenn er für die Kriegsverbrechen der SS ein allzu eifriges kriminalistisches Interesse an den Tag legt. Ganz
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