Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
abgesehen von der Tatsache, daß sowieso nichts dabei herauskommt. Der Antrag würde in jedem Fall abschlägig beschieden werden. Aber die Tatsache, daß er gestellt wurde, wird aktenkundig gemacht. Und damit hast du jede Aussicht auf Beförderung verloren. Niemand spricht davon, aber jeder weiß es. Wenn du also eine große Sache daraus machen willst, zähle bitte nicht auf mich.«
Miller saß reglos da und starrte durch die Windschutzscheibe.
»Also gut«, sagte er schließlich. »Wenn das so ist … Aber irgendwo muß ich schließlich anfangen. Hat Tauber sonst noch etwas hinterlassen, als er starb?«
»Nur ein paar kurze Zeilen. Ich mußte sie sicherstellen und meinem Bericht über den Selbstmordfall beilegen. Inzwischen werden sie bei den Akten liegen, und der Fall ist abgeschlossen.«
»Was hat er denn geschrieben?« fragte Miller.
»Nicht viel«, sagte Brandt. »Er schrieb nur, daß er Selbstmord begehen wolle. Und – ja, da war noch etwas. Er schrieb, daß er seine persönlichen Wertsachen einem Freund vermachen wollte, einem gewissen Herrn Marx.«
»Na, das ist doch wenigstens etwas. Wo erreiche ich diesen Marx?«
»Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« rief Brandt aus.
»Soll das heißen, daß das alles war, was er aufgeschrieben hat? Nur den Namen, keine Adresse?«
»Nichts«, sagte Brandt. »Nur den Namen. Keinerlei Hinweis, wo er wohnt.«
»Na, irgendwo dort in der Gegend muß er ja wohl aufzufinden sein. Hast du nicht nach ihm suchen lassen?«
Brandt seufzte.
»Wenn das doch nur endlich einmal in deinen Kopf hineinginge! Wir von der Hamburger Polizei haben wirklich alle Hände voll zu tun. Weißt du, wieviel Leute es in Hamburg gibt, die Marx heißen? Allein im Telefonbuch sind es eine Menge. Wir können nicht unsere Zeit damit verbringen, nach diesem einen Marx zu suchen. Was der alte Mann hinterlassen hat, war ohnehin keinen Pfennig wert.«
»Das war also wirklich alles?« fragte Miller. »Sonst gar nichts?«
»Kein Stück. Wenn du Marx suchen willst – viel Glück!«
»Danke. Das werde ich tun«, erklärte Miller. Die beiden Männer trennten sich, und Miller fuhr in seine Wohnung zurück, wo Sigi mit dem Sonntagsessen auf ihn wartete.
Am folgenden Morgen fuhr Miller zu dem Haus, in dem Tauber gewohnt hatte. Die Tür wurde von einem Mann geöffnet. Er trug eine fleckige Hose mit Bindfaden als Gürtel, ein kragenloses, offenes Hemd, und am Kinn stand ihm ein Dreitagebart.
»Morgen. Sind Sie der Hausmeister?«
Der Mann blickte Miller von oben bis unten an und nickte. Er roch nach Kohl.
»Vor ein paar Tagen hat sich hier ein alter Mann mit Gas umgebracht«, sagte Miller.
»Sind Sie von der Polizei?«
»Nein. Von der Presse.« Miller wies seinen Presseausweis vor.
»Ich habe nichts dazu zu sagen.«
Miller drückte ihm ohne allzu große Schwierigkeiten einen Zehnmarkschein in die Hand.
»Ich will nur einen Blick in sein Zimmer werfen.«
»Es ist schon wieder vermietet.«
»Was haben Sie mit seinen Sachen gemacht?«
»Die liegen hinten im Hof. Wo hätte ich sie sonst hinschaffen sollen?«
In einer Ecke war Taubers Hinterlassenschaft achtlos auf einandergeschichtet worden; dünner Nieselregen fiel darauf. Eine uralte Schreibmaschine, zwei abgetretene Paar Schuhe, diverse Kleidungsstücke, ein Stapel Bücher und ein zerschlissenes weißseidenes Halstuch, von dem Miller vermutete, daß es irgend etwas mit Taubers jüdischer Religion zu tun haben müsse. Er sah sich die Siebensachen genau an; ein Notizbuch mit Adressen oder sonst irgend etwas, woraus man die Anschrift eines Herrn Marx hätte entnehmen können, war nicht dabei.
»Ist das alles?« fragte Miller.
»Das ist alles«, entgegnete der Mann. Er hatte ihn von der Hinterhoftür her mißtrauisch im Auge behalten.
»Haben Sie einen Mieter, der Marx heißt?«
»Nein.«
»Kennen Sie jemanden namens Marx?«
»Nein.«
»Hatte der alte Tauber irgendwelche Freunde?«
»Nicht, daß ich wüßte. Hat ziemlich zurückgezogen gelebt. War eigentlich immer so mit sich allein, will ich mal sagen. Kam und ging, wie es ihm paßte, rumorte da oben so für sich rum. Hatte nicht alle Tassen im Schrank, wenn Sie mich fragen. Aber die Miete hat er immer pünktlich gezahlt. Gab nie irgendwelchen Ärger deswegen.«
»Haben Sie ihn mal mit irgend jemand anderem zusammen gesehen? Auf der Straße, meine ich?«
»Nein, nie. Hatte wohl keine Freunde. Kein Wunder, wo er doch dauernd so vor sich hinmurmelte. Wie gesagt, hat ’ne Meise gehabt,
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