Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
getroffen. Diesmal schnitt ein ägyptischer Beamter in der Poststelle die Paketschnur durch. Fünf Tote und zehn Verwundete. Ein drittes Paket wurde am 29. November ohne Zwischenfall entschärft. Am 20. Februar 1963 wurden Harels Agenten erneut in Westdeutschland tätig. Dr. Kleinwächter, der bereits eine Weile in Ägypten gearbeitet hatte, befand sich auf der Heimfahrt von seinem Laboratorium in Lörrach, und plötzlich blockierte, in der Nähe der schweizerischen Grenze, ein schwarzer Mercedes seinen Weg. Er warf sich auf den Boden seines Wagens, als ein Mann seine Automatic durch die Windschutzscheibe von Kleinwächters Wagen leerschoß. Seine eigene Waffe hatte Ladehemmung. Die Polizei fand den schwarzen Mercedes kurz darauf verlassen vor – er war ein paar Stunden vorher gestohlen worden. Im Handschuhfach lag eine auf den Namen Oberst Ali Samir ausgestellte Identitätskarte. Nachforschungen ergaben, daß Samir Chef des ägyptischen Geheimdienstes war. Isser Harels Agenten hatten ihre Botschaft deutlich ausfallen lassen – mit einem Schuß schwarzen Humors sozusagen.
Die Vergeltungskampagne machte Schlagzeilen in Westdeutschland. Durch die Ben-Gal-Affäre weitete sie sich zum Skandal aus. Am 2. März erhielt Heidi Goerke, die junge Tochter von Professor Paul Goerke, in ihrer Wohnung in Freiburg im Breisgau einen anonymen Anruf. Eine Stimme forderte sie auf, den Anrufer im Hotel zu den Drei Königen in Basel zutreffen. Heidi informierte die Polizei, die ihrerseits die eidgenössischen Polizeibehörden ins Bild setzte. Die Schweizer installierten eine Abhöranlage in dem für das Treffen reservierten Hotelzimmer. Im Verlauf der Unterredung wurde Heidi und ihrem jüngeren Bruder von zwei Männern mit dunklen Sonnenbrillen nachdrücklich klargemacht, daß sie ihren Vater dazu bewegen sollten, Ägypten zu verlassen – sofern ihnen an seinem Leben gelegen sei. Das Verfahren gegen die beiden Männer, die noch am gleichen Abend von der schweizerischen Polizei bis nach Zürich verfolgt und festgenommen worden waren, wurde am 10. Juni 1963 eröffnet.
Es entwickelte sich zu einem internationalen Skandal. Der Auftraggeber der beiden Agenten war Yossef Ben Gal, ein israelischer Staatsbürger.
Der Prozeß verlief ohne Zwischenfälle. Professor Joklik bezeugte das Bestehen des ägyptischen Plans, die Sprengköpfe der Raketen mit Atommüll und Beulenpest-Erregern zu füllen, und die Richter waren entsetzt. Die israelische Regierung versuchte aus der fahrlässigen Arbeit ihrer Geheimagenten das Beste zu machen und benutzte den Prozeß zur Aufdeckung des von Ägypten beabsichtigten Völkermordes. Die schockierten Richter sprachen die beiden Angeklagten frei.
Aber in Israel gab es ein Nachspiel. Obwohl Bundeskanzler Adenauer Ben Gurion die persönliche Zusage gegeben hatte, alles daranzusetzen, um die deutschen Wissenschaftler von jeglicher Beteiligung am Bau der Raketen in Heliopolis abzubringen, sah sich der israelische Premierminister durch den Skandal gedemütigt. Zornentbrannt machte er General Isser Harel schwerste Vorhaltungen wegen der Übergriffe, die er sich bei seiner Einschüchterungskampagne hatte zuschulden kommen lassen. Harel verwahrte sich seinerseits auf das entschiedenste gegen die Anwürfe und bat um seinen Abschied. Zu Harels Überraschung nahm Ben-Gurion das Entlassungsgesuch an und stellte damit unter Beweis, daß in Israel niemand unentbehrlich sei – nicht einmal der Chef des Geheimdienstes.
An jenem Abend des 20. Juni 1963 hatte Isser Harel eine lange Unterhaltung mit seinem engsten Freund, General Meir Amit, dem damaligen Chef des militärischen Abwehrdienstes. General Amit war die Unterredung noch lebhaft in Erinnerung.
»Du mußt wissen, mein lieber Meir, daß Israel mit sofortiger Wirkung aus dem Vergeltungsgeschäft ausgestiegen ist«, hatte ihm der in Rußland geborene kämpferische Harel, der »Isser der Schreckliche« genannt wurde, wütend mitgeteilt. »Die Politiker haben sich eingeschaltet. Ich sah mich veranlaßt, meinen Abschied zu nehmen, und habe darum gebeten, dich als meinen Nachfolger zu benennen. Ich glaube, daß meinem Wunsch entsprochen wird.«
Das aus Kabinettsmitgliedern zusammengesetzte Komitee, das in Israel für Abwehr- und Geheimdienstbelange zuständig ist, trug dem Wunsch des ausscheidenden Mossad-Chefs Rechnung. Ende Juni wurde General Meir Amit zum verantwortlichen Leiter des Geheimdienstes ernannt.
Aber auch für Ben-Gurion selbst war die Uhr
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