Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
abgelaufen. Die »Habichte« seines Kabinetts, angeführt von Levi Eshkol und Außenminister Golda Meir, erzwangen seinen Rücktritt, und am 26. Juni 1963 wurde Levi Eshkol Premierminister. Grollend zog sich Ben-Gurion auf seinen Kibbuz im Negev zurück; er blieb jedoch Mitglied der Knesset. Das neue Kabinett hatte zwar Ben-Gurion aus dem Amt gedrängt, aber es holte Isser Harel nicht auf seinen Posten zurück. Möglicherweise deswegen nicht, weil es Meir Amit für einen General hielt, der Weisungen eher zu befolgen geneigt war als der cholerische Harel, der schon zu Lebzeiten für das israelische Volk zu einer legendären Gestalt geworden war und diese Rolle uneingeschränkt genoß. Auch Ben-Gurions letzte Anordnungen wurden nicht widerrufen. General Amits Instruktion, weitere Skandale in Verbindung mit den Raketenspezialisten in Westdeutschland zu vermeiden, blieb bestehen.
In Ermangelung einer Alternative beschränkte er die Fortsetzung der Terrorkampagne auf die Wissenschaftler, die schon in Ägypten waren.
Diese Deutschen wohnten im Vorort Meadi, zehn Kilometer südlich von Kairo am Ostufer des Nils. Ein fraglos ungemein angenehmer Aufenthaltsort, nur daß er von Sicherheitstruppen abgeriegelt war und die Wissenschaftler in einem goldenen Käfig lebten. Um an sie heranzukommen, bediente sich Meir Amit seines Spitzenagenten in Ägypten, des Reitschulbesitzers Wolfgang Lutz, der ab September 1963 jene selbstmörderischen Risiken auf sich nahm, die sechzehn Monate später zu seiner Entlarvung führten.
Die deutschen Wissenschaftler waren schon von der Serie der in der Bundesrepublik aufgegebenen Bombenpakete entnervt. Der Herbst 1963 wurde für sie zu einem wahren Alptraum. Mitten in dem von ägyptischen Sicherheitsbeamten abgeriegelten Meadi erhielten sie Drohbriefe, die in Kairo aufgegeben waren und ihnen einen baldigen Tod prophezeiten.
Dr. Josef Endle empfing einen solchen Brief. Der anonyme Verfasser schildert darin Endles Frau, seine beiden Kinder und die Art der Arbeit, mit der Endle befaßt war, mit bemerkenswerter Präzision und riet ihm dringend Ägypten zu verlassen und nach Deutschland zurückzugehen. Alle anderen Wissenschaftler erhielten entsprechende Drohbriefe. Am 27. September explodierte ein solcher Brief in den Händen seines Adressaten, Dr. Keenberger.
Für einige Wissenschaftler gab das den Ausschlag. Ende September verließ Dr. Pilz Kairo mit seiner erblindeten Sekretärin, Fräulein Wende.
Andere folgten seinem Beispiel, und die wutschäumenden Ägypter konnten sie nicht zurückhalten. Sie waren nicht in der Lage, die Wissenschaftler vor den Drohungen zu beschützen.
Dem Mann, der an jenem strahlenden Wintermorgen in der schwarzen Limousine saß, war bekannt, daß der Schreiber und Absender der Drohbriefe und Bomben sein eigener Agent war, nämlich der vermeintliche pronazistische Deutsche Lutz. Aber er wußte auch, daß das Raketenprogramm weiterlief. Das bewies die Information, die er wenige Stunden vorher erhalten hatte. Noch einmal überflog er die entschlüsselte Meldung. Sie besagte, daß eine virulente Kultur von Beulenpest-Erregern im Kairoer Laboratorium für Infektionskrankheiten isoliert und das Budget der einschlägigen Forschungsabteilung um das Zehnfache erhöht worden war. Die Information war deutlich und unbezweifelbar. Ungeachtet der abträglichen weltweiten Publicity, die der Baseler Prozeß gegen Ben Gal im vorangegangenen Sommer gebracht hatte, setzte Ägypten die Entwicklung der Sprengköpfe mit unverminderter Entschlossenheit fort.
Wenn Hoffmann Millers nächsten Schritt verfolgt hätte, Miller hätte von ihm einen Pluspunkt bekommen wegen journalistischer Sorgfalt und besonderer Umsicht. Nachdem Miller das Penthouse-Büro verlassen hatte, fuhr er im Fahrstuhl in den fünften Stock hinunter und stattete Max Dorn, dem Justitiar der Illustrierten, einen Besuch ab.
»Ich komme gerade von Herrn Hoffmann«, sagte er und ließ sich in den Sessel vor Dorns Schreibtisch fallen. »Ich brauche jetzt noch ein paar Auskünfte. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihre einschlägigen Kenntnisse in dieser Hinsicht etwas anzapfe?«
»Aber bitte sehr«, sagte Dorn in der Annahme, Miller sei beauftragt, für Komet eine Reportage zu schreiben.
»Wer ermittelt Kriegsverbrechen in Westdeutschland?«
Die Frage befremdete Dorn.
»Kriegsverbrechen?«
»Ja, Kriegsverbrechen. Welche Behörde ist zuständig für die Ermittlung von Kriegsverbrechen in den Ländern, die
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