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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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lächelte.
    »In Ordnung. Ich akzeptiere Ihre Story.«
    Miller zog die Brauen hoch.
    »Hatten Sie irgendwelche Zweifel?«
    Simon Wiesenthal sah ihn scharf an.
    »Es bestehen immer gewisse Zweifel, Herr Miller. Ihre Geschichte ist sehr ungewöhnlich. Und ein Motiv, warum Sie Roschmann aufspüren wollen, sehe ich bei Ihnen noch immer nicht.«
    Miller zuckte mit den Achseln.
    »Ich bin Reporter. Es ist eine gute Story.«
    »Aber keine, die Sie jemals in der Presse unterbringen werden. Sie können sie niemandem verkaufen, sie ist es nicht wert, daß Sie Zeit und Geld darauf verschwenden. Sind Sie sicher, daß nichts Persönliches dahintersteckt?«
    Miller antwortete ausweichend. »Sie sind der zweite, der diese Vermutung ausspricht«, sagte er. »Hoffmann vom Komet hat das auch gedacht. Welche persönlichen Gründe sollte ich wohl haben? Ich bin neunundzwanzig Jahre alt. Das alles hat sich vor meiner Zeit abgespielt.«
    »Natürlich.« Wiesenthal warf einen Blick auf seine Uhr und stand auf. »Es ist 5   Uhr, und ich gehe an diesen langen Winterabenden gern zeitig nach Hause zu meiner Frau. Lassen Sie mir das Tagebuch da, damit ich es heute abend lesen kann?«
    »Ja. Selbstverständlich«, sagte Miller.
    »Gut. Dann kommen Sie doch bitte am Montagvormittag vorbei, damit ich Ihnen die fehlenden Details der Roschmann-Story erzählen kann.«
    Miller war am Montagvormittag um 10   Uhr in Wiesenthals Büro. Wiesenthal öffnete die eingegangene Post und bat ihn mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Dann herrschte eine Weile Schweigen. Wiesenthal schnitt jedesmal sorgsam die seitlichen Falzkanten der Briefumschläge auf, bevor er den Inhalt herauszog.
    »Ich sammle die Marken«, sagte er. »Deswegen beschädige ich ungern die Umschläge.«
    Er setzte seine Tätigkeit ein paar Minuten lang schweigend fort.
    »Ich habe das Tagebuch noch gestern nacht zu Hause durchgelesen. Ein bemerkenswertes Dokument.«
    »Waren Sie überrascht?« fragte Miller.
    »Überrascht? Nein. Nicht, was den Inhalt anbetrifft. Wir alle haben mehr oder weniger das gleiche durchgemacht. Mit Variationen natürlich. Aber diese Details! Tauber hätte einen hervorragenden Zeugen abgegeben. Er bemerkte und behielt alles, selbst die kleinsten Einzelheiten. Und notierte sie – damals. Er würde heute einen sehr wichtigen Zeugen abgeben. Aber leider lebt er nicht mehr.«
    Miller überlegte. Dann blickte er auf.
    »Herr Wiesenthal, soweit ich weiß, sind Sie der einzige Jude, mit dem ich gesprochen habe, der all das durchgemacht hat und der sagt, so etwas wie eine Kollektivschuld gebe es nicht. Aber uns Deutschen hat man zwanzig Jahre lang erzählt, wir seien ausnahmslos alle schuldig. Ist das auch Ihre Meinung?«
    »Nein«, sagte der Nazijäger rundheraus. »Tauber hatte recht.«
    »Wie können Sie das sagen, wo wir doch Millionen Ihres Volkes umgebracht haben?«
    »Weil Sie persönlich nicht dabei waren. Sie haben niemanden umgebracht. Wie Tauber sagt, besteht die Tragödie darin, daß die wahren Mörder sich vor der Gerechtigkeit drücken konnten.«
    »Aber wer ist denn dann für den Tod all dieser Menschen verantwortlich?« fragte Miller.
    Simon Wiesenthal blickte ihn lange und eindringlich an.
    »Sind Ihnen die verschiedenen Organe der SS ein Begriff? Wußten Sie etwas von den Ämtern der SS, die bei der Tötung dieser Millionen federführend waren?« fragte er.
    »Nein«, sagte Miller.
    »Dann will ich Sie rasch ins Bild setzen. Sie werden vom Reichswirtschaftsverwaltungs-Hauptamt gehört haben – das war zuständig für die wirtschaftliche Ausbeutung der Opfer, solange diese noch lebten.«
    »Ja, darüber habe ich irgend etwas gelesen.«
    »Die Funktion dieses Amtes stellte gewissermaßen den Mittelteil der Gesamtoperation dar«, sagte Wiesenthal. »Blieb noch die Aufgabe, die Opfer in der Masse der Bevölkerung auszumachen, abzutransportieren und zu liquidieren, sobald ihre wirtschaftliche Ausbeutung abgeschlossen war. Das war Sache des RSHA, des Reichssicherheits-Hauptamtes, das nun in der Tat die Ermordung der besagten Millionen veranlaßte und besorgte. Die in diesem Zusammenhang absurd anmutende Verwendung des Begriffs ›Sicherheit‹ erklärt sich aus der Tatsache, daß die Opfer aus der verzerrten Sicht der Nazi-Ideologie heraus eine Gefahr für das Reich darstellten – daraus folgerten sie, das Reich müsse gegen die Juden gesichert werden. Zu den Aufgaben des RSHA gehörte es außerdem, vermeintliche andere Feinde des Reiches aufzuspüren

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