Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Polizei. Es versteht sich, daß er weder bei den österreichischen noch bei den westdeutschen Behörden sonderlich beliebt ist. Er steht auf dem Standpunkt, daß sie nicht genug tun, um namentlich bekannte Verbrecher zur Strecke zu bringen, geschweige denn die Untergetauchten aufzuspüren. Den ehemaligen SS-Angehörigen ist er natürlich ein Dorn im Auge, und es sind schon wiederholt Mordanschläge auf ihn verübt worden. Die Bürokraten wünschten, er würde sie nicht ewig behelligen. Aber es gibt eine Menge Leute, die ihn für einen großartigen Kerl halten und ihm helfen, wann immer sie können.«
»Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Das war doch der Mann, der Eichmann aufgespürt hat«, sagte Miller.
Lord Russell nickte.
»Er identifizierte ihn als den in Buenos Aires lebenden Ricardo Klement. Das Weitere übernahmen dann die Israelis. Er hat noch ein paar hundert andere Naziverbrecher ausfindig gemacht. Falls über Ihren Eduard Roschmann sonst nirgends etwas bekanntgeworden sein sollte, wird nur er es Ihnen sagen können.«
»Kennen Sie ihn persönlich?« fragte Miller.
Lord Russell nickte.
»Ich gebe Ihnen am besten ein Schreiben mit. Es kommen dauernd Leute zu ihm, die Informationen von ihm haben wollen, da dürfte eine Referenz ganz nützlich sein.«
Er ging zum Schreibtisch, warf rasch ein paar Zeilen auf ein Blatt mit seinem Briefkopf, faltete es und steckte es in einen Umschlag. Er gab Miller den geschlossenen Umschlag.
»Viel Glück. Sie werden es brauchen können«, sagte er, als er Miller zur Tür begleitete.
Am nächsten Morgen flog Miller mit der BEA nach Köln zurück. Er setzte sich in seinen Wagen, den er am Flughafen abgestellt hatte, und startete zu einer zweitägigen Fahrt über Stuttgart, München, Salzburg, Linz nach Wien.
Er übernachtete in München. Auf der verschneiten Autobahn war er nur langsam vorangekommen. Sie war streckenweise nur auf einer Bahn befahrbar; Schneepflüge und Lastwagen mit Streusand versuchten, Schnee und Glätte zu beseitigen, während auf der anderen Fahrbahn der Verkehr dahinschlich.
Am nächsten Tag brach er zeitig auf und hätte mittags in Wien sein können, wäre nicht kurz hinter München bei der Ausfahrt Holzkirchen der Stau gewesen. Auf einem Streckenabschnitt, der durch dichte Kiefernwaldungen führte, kam der Verkehr zum Stillstand. Am Straßenrand parkte ein Polizeiwagen mit kreisendem Blaulicht, und zwei Polizeibeamte in weißen Übermänteln sperrten die Weiterfahrt. Auf der Gegenfahrbahn spielte sich das gleiche ab. In die Kiefernwaldungen neben der Autobahn führte ein Waldweg; an beiden Einmündungen standen zwei Soldaten in Winterkleidung mit batteriegespeisten erleuchteten Signalkellen. Offenbar wollten sie irgend etwas aus dem Wald über die Autobahn geleiten.
Miller kochte vor Ungeduld; er kurbelte die Wagenscheibe hinunter und rief einem der beiden Polizeibeamten zu: »Was ist denn los hier? Ist da irgendwas im Busch?«
Der Polizeibeamte grinste und kam langsam näher.
»Bundeswehrmanöver«, sagte er. »Hier kommt gleich eine Panzerkolonne durch.«
Wie ein Dickhäuter, der erst Witterung nimmt, erschien fünfzehn Minuten später der erste Panzer. Zunächst ragte nur ein langes Geschützrohr zwischen den Kiefernstämmen hervor, dann schob sich der gepanzerte Aufbau nach, und das ganze Ungetüm kreuzte mit rasselnden Ketten die Fahrbahn. Stabsfeldwebel Ulrich Frank war ein zufriedener Mann. Er war dreißig Jahre alt und hatte sein Lebensziel, selbst einen Panzer zu befehligen, bereits erreicht. Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem er sich dieses Ziel gesteckt hatte. Es war der 10. Januar 1945 gewesen. Er war damals noch ein kleiner Junge gewesen und lebte mit seiner Mutter in Mannheim; sie hatte ihn ins Kino mitgenommen. Die Wochenschau zeigte General von Manteuffels Tiger-Panzer, die an die Front rollten, um amerikanische und britische Streitkräfte zu binden.
Er hatte ehrfürchtig zu den vermummten Gestalten der Kommandanten auf die Kinoleinwand hinaufgestarrt, die mit Helmen und Schutzbrillen aus der Turmluke spähten. Für den zehnjährigen Ulrich Frank war dieser Eindruck ein Wendepunkt. Er schwor sich, eines Tages selbst einen Panzer zu befehligen. Es dauerte neunzehn Jahre, aber er schaffte es. In diesem Wintermanöver in den Wäldern südlich von München kommandierte er seinen ersten Panzer; es war ein amerikanischer M-48 Patton.
Es war zugleich sein letztes Manöver in einem Patton. In der Garnison
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