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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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klaren waren, daß die Dunkelzahl derjenigen, die unter falschem Namen lebten, sehr hoch sein mußte. Es bestand dringender Bedarf an einem Dokument, das so gründlich überprüfbar war, daß es als maßgebliche Grundlage für alle anderen Dokumente dienen konnte. Sie entschieden sich für den Paß. Um in Westdeutschland einen Paß zu bekommen, müssen Sie Ihre Geburtsurkunde, polizeiliche Führungszeugnisse und eine Menge anderer Papiere vorweisen. Alles wird sorgfältig überprüft, bevor man Ihnen einen Paß ausstellt.
    Wenn Sie ihn aber erst mal haben, dann können Sie damit jedes beliebige andere Dokument bekommen. So ist die Bürokratie nun mal. Das Vorweisen des Passes überzeugt den Beamten, daß der Antragsteller, da er als Paßinhaber bereits von anderen Beamten gründlich überprüft worden sein muß, keiner weiteren Überprüfung mehr bedarf. Wenn er erst mal einen Paß hatte, konnte sich Roschmann die restlichen Papiere zur Etablierung seiner neuen Identität schnell und ohne große Schwierigkeiten beschaffen – Führerschein, Scheckbuch, Kreditkarten und so weiter,
    »Und von wem bekam er seinen Paß?«
    »Wenn er unter dem Schutz der ODESSA blieb, dann von der ODESSA. Sie muß einen hervorragenden Paßfälscher an der Hand haben«, sagte Wiesenthal.
    Miller überlegte.
    »Wenn man den Paßfälscher ausfindig machte, dann hätte man doch möglicherweise auch den Mann, der Roschmann heute noch identifizieren kann?« meinte er fragend.
    Wiesenthal zuckte mit den Achseln.
    »Schon möglich. Aber wie sollte man das anfangen? Dazu müßte man in die ODESSA aufgenommen werden. Und das gelingt nur einem ehemaligen SS-Mann.«
    »Zu welchem Schritt würden Sie mir also jetzt raten?« fragte Miller.
    »Ich würde sagen, daß Sie als nächstes versuchen sollten, sich mit einigen der Überlebenden von Riga in Verbindung zu setzen, denn Sie müssen doch mehr erfahren als das, was im Tagebuch steht. Tauber ist ja nun tot. Ob die Ihnen tatsächlich weiterhelfen können, weiß ich zwar nicht, aber an ihrer Bereitschaft dazu wird es jedenfalls nicht mangeln. Wir alle versuchen ja, Roschmann zu finden.«
    »Wie komme ich an Überlebende?« fragte Miller.
    »In meinem Akt habe ich Zeugenaussagen aus Israel und Amerika. Aber bleiben wir doch beim Tauber-Tagebuch. Sehen Sie.« Er schlug das Tagebuch auf, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Hier ist von einer gewissen Olli Adler aus München die Rede, die während des Krieges Roschmann aus nächster Nähe kennengelernt hat. Vielleicht zählt sie zu den Überlebenden und ist nach München zurückgekehrt.«
    Miller nickte.
    »Wo wäre sie in diesem Falle registriert?«
    »Im jüdischen Gemeindehaus. Das steht noch. Da sind die Archive der jüdischen Gemeinde Münchens – das heißt natürlich nur Dokumente aus der Nachkriegszeit. Alles andere wurde zerstört. Dahin würde ich mich wenden an Ihrer Stelle.«
    »Haben Sie die Adresse?«
    Simon Wiesenthal blätterte in einem Adreßbuch.
    »Reichenbachstraße 27, München«, sagte er. »Ich nehme an, Sie wollen Salomon Taubers Tagebuch zurückhaben?«
    »Ja.«
    »Schade. Ich hätte es gern behalten. Ein bemerkenswertes Dokument.«
    Er stand auf und brachte Miller zur Tür.
    »Viel Glück«, sagte er. »Und lassen Sie mich wissen, wie Sie vorankommen.«
    In der »Bierklinik« im Haus des Güldenen Drachen, einem vierhundert Jahre alten Bierhaus und Restaurant in der Steindlgasse, aß Miller zu Abend und erwog Wiesenthals Ratschlag. Er hatte wenig Hoffnung, in Deutschland oder Österreich mehr als eine Handvoll Überlebender von Riga zu finden. Und die Chance, daß sie ihm bei seinen Nachforschungen nach Roschmann über den November 1955 hinaus behilflich sein könnten, war noch kleiner. Aber dieses bißchen Hoffnung und die kleine Chance waren alles, was er in der Hand hatte.
    Am nächsten Morgen fuhr er nach München.
    Miller war gegen 11   Uhr in München. Die von Wiesenthal angegebene Adresse – Reichenbachstraße 27 – fand er auf einem Stadtplan, den er an einem Zeitungskiosk in einem Außenbezirk der Stadt gekauft hatte. Er parkte seinen Wagen fünfzig Meter von dem Gemeindehaus entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er betrachtete das Gebäude, bevor er eintrat. Es war ein fünfstöckiges Haus mit schmuckloser Fassade. Im Erdgeschoß bestand die Vorderfront aus ungetünchten Steinquadern; darüber Ziegelsteine mit grauem Zement verputzt. Das fünfte und oberste Stockwerk hatte eine Reihe von Mansardenfenstern

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