Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
heiße Mordechai«, sagte er. »Aber man nennt mich Motti. Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken und uns unterhalten?«
»Sie gingen in ein Café in der Nähe, und Miller, dem die unbekümmerte Direktheit seines Begleiters gefiel, berichtete von dem bisherigen Verlauf seiner Suche, die in einer düsteren Straße in Hamburg-Altona begonnen und ihn über eine Reihe von Umwegen bis ins jüdische Gemeindehaus nach München geführt hatte. Der Mann hörte ihm wortlos zu und nickte nur gelegentlich.
»Hmm. Ganz beachtliche Irrfahrt. Warum wollen Sie, als Deutscher, Roschmann unbedingt aufspüren?«
»Spielt das eine Rolle? Das bin ich schon so oft gefragt worden, daß es mir allmählich zum Hals heraushängt. Was ist denn so seltsam daran, wenn ein Deutscher sich aufregt über das, was damals geschehen ist?«
Motti zuckte mit den Achseln. »Es ist ungewöhnlich für einen Mann wie Sie, so eine Sache mit solcher Hartnäckigkeit zu verfolgen – das ist alles. Roschmanns Untertauchen im Jahre 1955 übrigens – meinen Sie wirklich, daß ihm die ODESSA den neuen Paß besorgt hat?«
»Das habe ich mir jedenfalls erzählen lassen«, entgegnete Miller. »Und die einzige Chance, den Mann zu finden, der ihn gefälscht hat, besteht offenbar darin, in den Kreis der ODESSA-Leute einzudringen.«
Motti sah den jungen Deutschen eine Weile lang nachdenklich an.
»In welchem Hotel sind Sie abgestiegen?« fragte er schließlich.
Miller hatte noch kein Hotelzimmer; es war ja auch erst früher Nachmittag. Aber Miller kannte ein Hotel von einem früheren Aufenthalt in München; da wollte er auch diesmal wieder übernachten. Auf Mottis Drängen rief er es von dem Apparat des Cafés aus an und bestellte sich ein Zimmer. Als er an den Tisch zurückkehrte, war Motti schon gegangen. Er hatte einen Zettel unter der Kaffeetasse zurückgelassen. Miller las:
»Ob Sie dort ein Zimmer bekommen oder nicht – seien Sie in jedem Fall heute abend um 8 Uhr in der Hotelhalle.«
Miller zahlte für die beiden Tassen Kaffee und ging.
Am gleichen Nachmittag las der Werwolf in seiner Anwaltskanzlei noch einmal den schriftlichen Bericht von seinem Bonner Kollegen, dem Mann, der sich Miller vor einer Woche als Dr. Schmidt vorgestellt hatte.
Der Bericht war bereits vor fünf Tagen eingetroffen, aber der Werwolf hatte mit der ihm eigenen Vorsicht gezögert. Er wollte sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen, bevor er die erforderlichen Maßnahmen traf. Die Instruktionen, die ihm sein Vorgesetzter, SS-Gruppenführer Glücks, in Madrid persönlich erteilt hatte, beraubten ihn praktisch jeder Handlungsfreiheit, aber wie so viele Schreibtischarbeiter neigte er dazu, das Unausweichliche aufzuschieben. »Kurzen Prozeß machen« – so hatte die Order gelautet, und was das hieß, wußte er. Auch Dr. Schmidts Bericht erweiterte seinen Handlungsspielraum nicht – ganz im Gegenteil:
»Ein halsstarriger junger Mann, hochfahrend und eigensinnig. Offenbar von unterschwelligem Haß auf den betreffenden Kameraden erfüllt. Obwohl sich dafür keine Erklärung finden läßt, scheint er persönliche Motive zu haben. Dürfte sich allen noch so eindringlichen Aufforderungen, Vernunft anzunehmen, verschließen und auch angesichts persönlicher Drohungen jegliche Einsicht vermissen lassen …«
Der Werwolf las die Zusammenfassung am Schluß des Berichts noch einmal und seufzte. Er griff nach dem Telefonhörer, bat seine Sekretärin, ihm eine Amtsleitung zu geben, und wählte eine Düsseldorfer Nummer.
Nach mehrfachem Läuten wurde abgenommen, und eine Stimme sagte: »Ja«.
»Anruf für Herrn Mackensen«, sagte der Werwolf.
»Die Stimme am anderen Ende der Leitung fragte:
»Wer will ihn sprechen?«
Statt einer Antwort nannte der Werwolf den ersten Teil der Erkennungsparole:
»Wer war größer als Friedrich der Große?«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung antwortete:
»Barbarossa.« Einen Augenblick herrschte Stille, dann die Stimme:
»Hier Mackensen.«
»Werwolf«, antwortete der Chef der ODESSA. »Die Feiertage sind leider vorüber. Es gibt Arbeit. Kommen Sie morgen vormittag herüber.«
»Um wieviel Uhr?« fragte Mackensen.
»Seien Sie um zehn hier«, befahl der Werwolf. »Sagen Sie meiner Sekretärin, Ihr Name sei Keller. Ich werde dafür sorgen, daß Sie unter diesem Namen für eine Besprechung mit mir vorgemerkt werden.«
Er legte auf. In Düsseldorf stand Mackensen auf und ging ins Badezimmer, um sich zu duschen und zu
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