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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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wurde ihm vom Kopf gestreift. Er blinzelte, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten.
    Der Raum lag unter der Erdoberfläche, denn er hatte kein Fenster. Hoch oben an einer der Wände summte ein Ventilator. Der Raum war sorgfältig eingerichtet. Offenbar eine Art Beratungszimmer, denn es befand sich auf der einen Seite ein langer Tisch mit acht Stühlen. Indem freien Raum davor standen noch acht zu einem Kreis gruppierte bequeme Sessel. In der Mitte lag ein dicker runder Teppich, und darauf stand ein niedriger Kaffeetisch.
    Motti stand neben dem Konferenztisch und lächelte ein wenig verlegen. Die beiden Männer, die Miller hierher verschleppt hatten, waren vielleicht Mitte Vierzig und von kräftigem Körperbau. Sie hockten auf Millers Sessellehnen. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des niedrigen Tisches, saß ein vierter Mann. Miller nahm an, daß der Fahrer oben geblieben war, um das Haus abzuschließen.
    Der vierte Mann war anscheinend der Boß. Er saß bequem in seinem Sessel. Einer seiner drei Untergebenen stand, die anderen beiden saßen rechts und links neben Miller.
    Der Boß war etwa sechzig Jahre alt. Er war mager und knochig; eine mächtige Hakennase beherrschte sein hohlwangiges Gesicht. Seine Augen beunruhigten Miller. Sie waren glänzend braun und tiefliegend mit einem stechenden Blick. Die Augen eines Fanatikers.
    »Willkommen, Herr Miller. Ich muß mich bei Ihnen für die etwas ungewöhnlichen Umstände entschuldigen, unter denen Sie zu mir gefunden haben. Aber auf diese Weise können Sie jederzeit in Ihr Hotel zurückgebracht werden, falls Sie mein Angebot ablehnen sollten, und brauchen keinem von uns je wieder zu begegnen.
    Mein Freund hier«, er wies auf Motti, »teilte mir mit, daß Sie aus Gründen, die wir nicht zu erörtern brauchen, nach einem gewissen Eduard Roschmann suchen. Und daß Sie, um an diesen Mann heranzukommen, gegebenenfalls bereit wären, zum Schein in die ODESSA einzutreten. Wie die Dinge nun aber liegen, würde es mit unseren Interessen übereinstimmen, Sie in der ODESSA zu haben. Wir wären daher unter Umständen bereit, Ihnen zu helfen. Können Sie mir folgen?«
    Miller starrte ihn verblüfft an.
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht von der ODESSA sind?«
    Der Mann zog die Brauen hoch.
    »Großer Gott, da liegen Sie aber wirklich falsch.«
    Er beugte sich vor und krempelte seinen linken Hemdsärmel bis zum Ellenbogen auf. In die Haut des Unterarms war mit blauer Tinte eine Nummer tätowiert.
    »Auschwitz«, sagte der Mann. Er deutete auf die beiden Männer neben Miller. »Buchenwald und Dachau.« Er wies auf Motti: »Riga und Treblinka.« Er krempelte seinen Hemdsärmel wieder herunter.
    »Herr Miller, es gibt Leute, die meinen, die Mörder unseres Volkes sollten vor Gericht gestellt werden. Wir sind nicht dieser Auffassung. Unmittelbar nach Kriegsende kam ich mit einem englischen Offizier ins Gespräch, und er sagte mir etwas, was seither für mein Leben bestimmend geworden ist. Er sagte: ›Wenn die sechs Millionen meiner Landsleute umgebracht hätten, würde auch ich ein Monument aus Totenschädeln errichten. Nicht aus den Totenschädeln derer, die in den Konzentrationslagern sterben mußten – ich würde die nehmen, die sie dorthin verschleppt haben.‹ Simple Logik, Herr Miller, aber einleuchtend. Ich und meine Gruppe von Männern hier, wir beschlossen 1945, in Deutschland zu bleiben, mit einem einzigen Ziel vor Augen: Rache zu üben. Sonst nichts. Wir lassen sie nicht festnehmen, Herr Miller, wir stechen sie ab, wo wir sie kriegen können. Mein Name ist Leon.«
    Leon verhörte Miller vier Stunden lang, dann erst war er von der Integrität des Reporters hinreichend überzeugt. Wie anderen vor ihm blieb auch Leon Millers Motivation verborgen. Aber er mußte einräumen, daß der Grund, den Miller nannte – Empörung über die von der SS im Krieg begangenen Verbrechen –, möglicherweise der Wahrheit entsprach. Als er das Verhör beendet hatte, lehnte sich Leon im Sessel zurück und sah den jungen Reporter lange Zeit nachdenklich an.
    »Sind Sie sich darüber im klaren, Herr Miller, wie riskant der Versuch für Sie ist, sich in die ODESSA einzuschmuggeln?« fragte er schließlich.
    »Ich kann es mir denken«, sagte Miller. »Außerdem bin ich zu jung.«
    Leon schüttelte den Kopf.
    »Es wäre völlig sinnlos, wenn Sie ehemalige SS-Angehörige unter ihrem eigenen Namen davon zu überzeugen versuchten, daß Sie zu den Kameraden zählen. Erstens haben sie

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