Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Listen mit den Namen aller ehemaligen SS-Männer, und auf keiner davon ist Peter Miller verzeichnet. Zweitens müßten Sie mindestens um zehn Jahre älter erscheinen. Das ist zu machen, aber dazu müßten wir Ihnen zu einer völlig neuen Identität verhelfen – einer echten Identität versteht sich. Es muß die Identität eines Mannes sein, den es wirklich gegeben hat und der Mitglied der SS gewesen ist. Das allein würde unsererseits umfangreiche Nachforschungen voraussetzen und viel, viel Zeit und Mühe kosten.«
»Glauben Sie, daß Sie einen solchen Mann finden können?« fragte Miller.
Leon zuckte mit den Achseln.
»Es müßte ein Mann sein, dessen Tod nicht aktenkundig geworden sein darf«, sagte er. »Bevor die ODESSA einen Mann aufnimmt, wird er auf Herz und Nieren überprüft. Sie müßten alle Proben bestehen. Das wiederum setzt voraus, daß Sie fünf bis sechs Wochen lang bei einem ehemaligen SS-Mitglied in die Schule gehen, der Sie in den Bräuchen, der Weltanschauung, der Ausdrucksweise und der Umgangsformen der SS unterweist. Glücklicherweise kennen wir einen solchen Mann.«
Miller traute seinen Ohren nicht.
»Warum sollte ein ehemaliger SS-Mann dazu bereit sein?« fragte er ungläubig.
»Der Mann, von dem ich spreche, ist ein ungewöhnlicher Mensch. Er war SS-Hauptsturmführer und bereut aufrichtig, was geschehen ist. Er ist später in die ODESSA eingetreten, um den Justizbehörden Informationen über gesuchte Kriegsverbrecher zu vermitteln. Das würde er noch heute tun, wenn er nicht aufgeflogen wäre. Er kann von Glück sagen, daß er mit dem Leben davongekommen ist. Heute lebt er unter falschem Namen in der Nähe von Bayreuth.«
»Was müßte ich sonst noch lernen?«
»Alles, was Ihre neue Identität betrifft. Wann und wo der Mann geboren ist, wie er zur SS kam, wo er ausgebildet wurde, in welcher Einheit er diente und welche Einsätze er mitgemacht hat. Wer seine Vorgesetzten waren und seine vollständige Lebensgeschichte vom Ende des Krieges bis zum heutigen Tag. Sie werden außerdem jemanden benennen müssen, der für sie bürgt. Das dürfte uns noch einiges Kopfzerbrechen verursachen. Wir werden eine Menge Zeit und Mühe für Sie aufwenden müssen, Herr Miller. Wenn Sie sich einmal auf die Sache eingelassen haben, dann gibt es kein Zurück mehr.«
»Was springt für Sie dabei heraus?« fragte Miller mißtrauisch.
Leon stand auf und ging langsam im Raum auf und ab.
»Rache«, sagte er unumwunden. »Wir sind genauso hinter Roschmann her. Aber wir wollen mehr. Die schlimmsten SS-Mörder leben unter falschem Namen. Wir wollen diese Namen wissen. Das ist es, was für uns bei der Sache herausspringt. Und noch etwas. Wir müssen herausbekommen, wer der neue Mann ist, der im Auftrag der ODESSA die deutschen Wissenschaftler anwirbt, die jetzt nach Ägypten gehen, um dort Nassers Raketen zu entwickeln. Sein Vorgänger hat den Posten aufgegeben und ist verschwunden, nachdem wir Heinz Krug, seine rechte Hand, im letzten Jahr ausgeschaltet haben. Jetzt macht das ein neuer Mann.«
»Diese Information müßte doch eher für den israelischen Geheimdienst von Interesse sein«, sagte Miller.
Leon sah ihn scharf an.
»Stimmt«, sagte er. »Wir arbeiten gelegentlich mit ihm zusammen, aber wir lassen uns nicht von ihm vereinnahmen.«
»Haben Sie jemals versucht, einen von Ihren eigenen Männern in die ODESSA einzuschmuggeln?« fragte Miller.
Leon nickte.
»Zweimal«, sagte er.
»Und?«
»Den ersten hat man als Leiche ohne Fingernägel aus einem Kanal gezogen. Der zweite ist spurlos verschwunden. Wollen wir fortfahren?«
Miller überhörte die Frage.
»Wenn Ihre Methoden so umsichtig sind, wie konnten die beiden dann gefaßt werden?«
»Sie waren beide Juden«, sagte Leon. »Wir versuchten, die eintätowierten Häftlingsnummern an ihren Unterarmen zu entfernen, aber es blieben Narben zurück. Außerdem waren beide beschnitten. Das ist auch der Grund, warum ich sofort interessiert war, als Motti mir von einem waschechten Nichtjuden berichtete, der nicht gut auf die SS zu sprechen sei. Übrigens, sind Sie beschnitten?«
»Nein«, sagte Miller.
Leon atmete hörbar erleichtert auf.
»Diesmal könnten wir es schaffen«, sagte er. Er sah auf seine Uhr.
Es war lange nach Mitternacht.
»Haben Sie schon gegessen?« fragte er Miller. Der Reporter schüttelte den Kopf.
»Motti, etwas Eßbares für unseren Gast.«
Motti nickte grinsend. Er verschwand durch die Kellertür und ging in die Küche
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