Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Brief an den Mann, den Sie aufsuchen werden. Der Briefbogen ist echt und stammt aus seinem Büro. Die Unterschrift ist perfekt gefälscht. In dem Brief wird versichert, daß Sie ein ehemaliger SS-Angehöriger sind, ein tüchtiger und verläßlicher Mann, der das Pech hatte, erkannt zu werden, und daher jetzt in Schwierigkeiten ist. Der Adressat wird gebeten, Ihnen zu neuen Papieren und zu einer neuen Identität zu verhelfen.«
Leon gab Miller den Brief. Der las ihn und steckte ihn wieder in den Umschlag.
»Kleben Sie ihn jetzt zu«, sagte Leon, und Miller klebte den Brief zu.
»Wer ist der Mann, den ich aufsuche?« fragte er.
Leon suchte ein Blatt Papier mit einem Namen und einer Anschrift heraus. »Das ist der Mann«, sagte er. »Er wohnt in Nürnberg. Wir sind uns darüber nicht im klaren, was er im Krieg war, denn er lebt mit ziemlicher Sicherheit unter falschem Namen. Eines allerdings wissen wir mit Sicherheit. Er gehört zur Führungsspitze der ODESSA. Möglicherweise ist er Eberhardt, der in der ODESSA in Norddeutschland eine wichtige Rolle spielt, persönlich begegnet. Hier ist ein Photo von Eberhardt, dem Bäcker. Schauen Sie es sich also genau an für den Fall, daß der Mann von Ihnen eine Personenbeschreibung Eberhardts verlangt. Klar?«
Miller betrachtete Eberhardts Photo und nickte.
»Wenn Sie bereit sind, warten Sie am besten noch ein paar Tage ab, bis Eberhardts Schiff auf hoher See ist, damit er nicht mehr mit der Küste telefonieren kann. Wir müssen vermeiden, daß es dem Mann, den Sie aufsuchen, gelingt, Eberhardt telefonisch zu erreichen, wenn das Schiff noch in küstennahen deutschen Gewässern ist. Warten Sie, bis es mitten im Atlantik ist. Ich würde sagen, Sie sollten sich am kommenden Donnerstagvormittag präsentieren.«
Miller nickte.
»Gut. Donnerstag also.«
»Nur noch zwei Dinge«, sagte Leon. »Wir möchten, daß Sie uns über Ihr eigentliches Anliegen hinaus – die Suche nach Roschmann – Informationen beschaffen. Wir wollen wissen, wer jetzt die Wissenschaftler anwirbt, die nach Kairo gehen und für Ägypten Raketen entwickeln sollen. Die Anwerbung wird von der ODESSA betrieben, und zwar hier in Deutschland. Wir müssen besonders dringend erfahren, wer der verantwortliche Leiter der Rekrutierungsaktion ist. Und zweitens – bleiben Sie mit uns in Verbindung. Benutzen Sie öffentliche Fernsprecher und rufen Sie diese Nummer an.« Er reichte Miller einen Zettel.
»Der Apparat wird Tag und Nacht bedient werden, selbst wenn ich nicht da bin. Wann immer Sie etwas erfahren – melden Sie es uns.«
Zwanzig Minuten später fuhr Leon mit seinen Leuten nach München zurück.
Auf der Rückfahrt nach München saßen Leon und Josef nebeneinander auf dem Rücksitz. Der israelische Agent hatte sich in seine Ecke verkrochen und schwieg beharrlich. Als die blinkenden Lichter von Bayreuth hinter ihnen in der Dunkelheit verschwanden, stieß Leon ihn mit dem Ellenbogen an. »Warum so bedrückt?« fragte er. »Es läuft doch alles ausgezeichnet.« Josef sah ihn an.
»Für wie verläßlich halten Sie diesen Miller?« fragte er.
»Verläßlich? Eine bessere Chance, die ODESSA zu infiltrieren, haben wir nie gehabt. Sie haben gehört, was Oster sagte. Er kann in jeder Gesellschaft als ehemaliger SS-Angehöriger bestehen, wenn er nicht den Kopf verliert.«
Josef behielt seine Zweifel.
»Mein Auftrag war, ihn ständig zu beschatten«, sagte er. »Ich sollte ihm auf den Fersen bleiben, wenn er den Ort wechselt. Ich sollte ihn im Auge behalten und Tel Aviv über die Männer und ihre Funktionen unterrichten, mit denen er zusammentrifft. Ich wünschte, ich hätte nicht meine Zustimmung dazu gegeben, daß er auf eigene Faust loszieht und sich nur telefonisch meldet, wenn er es für angebracht hält. Angenommen, er meldet sich nicht – was machen wir dann?«
Leon unterdrückte seinen Unwillen nur mühsam. Sie diskutierten nicht zum erstenmal über diesen Punkt.
»Jetzt hören Sie mir ein letztes Mal zu. Dieser Mann ist meine Entdeckung. Daß er sich in die ODESSA einschmuggeln soll, ist meine Idee. Er ist mein Agent. Ich habe Jahre darauf gewartet, jemanden so weit zu bekommen, wie er jetzt ist- einen Nichtjuden. Ich dulde nicht, daß er hochgeht, bloß weil jemand ständig hinter ihm her latscht.«
››Er ist ein Amateur«, knurrte der Agent. »Ich bin Fachmann.«
»Außerdem ist er kein Jude«, erwiderte Leon. »Bevor er dran ist, wird er uns hoffentlich die zehn ranghöchsten ODESSA-Führer
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