Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
zurückgebracht? Aber natürlich! Er war verschont worden, da er die Forderung der Entführer erfüllen musste. Heiß fiel ihm das Ultimatum ein. Wie spät war es? Das Ziffernblatt seiner Armbanduhr zeigte kurz nach 23:00 Uhr an. Es konnte also kaum mehr als eine Stunde seit dem Überfall im Park vergangen sein. Der Park! Magali ...
Ihr Anblick, an der Seite der van Kampen und geschmückt mit Juwelen, hatte ihn tief erschüttert. Magali hatte auf ihn wie eine Fremde gewirkt. Wer war seine Frau? Was spielte sie für ein Spiel? Was wusste er überhaupt von ihr? Im Grunde hatte sie nur vage Angaben über die Zeit gemacht, bevor er sie kennengelernt hatte. Magalis Verrat war für ihn nicht greifbar. Doch jetzt zählte vor allem sein kleiner Sohn. Es machte ihn wahnsinnig, dass er ihm schon so nahe gewesen war.
Unvermittelt wurde sein Blick von einem gefalteten Briefbogen auf dem Nachttisch angezogen. Er zögerte kurz, ihn zu lesen, dann faltete er ihn auseinander. Erneut geriet die Welt um ihn herum ins Wanken.
Die kurze Botschaft stammte von den Entführern. Sie enthielt ihre Forderung - eine neue und derart widersinnige Forderung, die alle Aktionen der vergangenen Stunden ad absurdum führte, eine Farce, die Jules das Leben gekostet hatte. Kurzum, die neue Forderung ergab keinen Sinn. Urplötzlich verlangten die Entführer nicht mehr die Schriftrollen. Warum änderten die Entführer ihre Forderung von einem Tag auf den anderen? Waren die verrückt geworden? Lukas versuchte sich zu konzentrieren, was schwer war, wenn die Gedanken Karussell fuhren. Was würde Jules tun? Er würde sagen: Eines nach dem anderen. Gut, zuerst das Lösegeld, denn mit einem Mal verlangten die Entführer auch das. Fünf Millionen Euro.
Aber was hatte es mit dem zweiten Punkt auf sich, dieser Akte? Angeblich hatte Rabea sie ihm vor ihrem Tod überlassen. Er las die Forderung nochmals:
„Wir fordern fünf Millionen Euro und die Akte, die Sie von der Journalistin Rosenthal erhalten haben. Übergabe Dienstag 12:00 Uhr in Nürnberg. Weitere Instruktionen folgen.“
Welche Akte? Lukas wusste von keiner Akte. Oh, Rabea, was hast du mir da wieder eingebrockt, stöhnte er innerlich auf. Lukas glaubte sich endgültig in einem surrealen Albtraum gefangen. Nichts passte zusammen. Irgendetwas übersah er. Er rekapitulierte in Gedanken die Fakten: Frau und Sohn wurden entführt - auch wenn er sich da inzwischen nicht mehr so sicher war - und die Entführer hatten kurz hintereinander zwei unterschiedliche Forderungen an ihn gestellt. Die erste Forderung beinhaltete nur die Schriftrollen. Die zweite verlangte Lösegeld und eine ominöse Akte. Was jetzt? Galten beide Forderungen? Oder löste die zweite die erste ab?
Die zweite Forderung warf kaum weniger Rätsel auf, sowohl was ihre schiere Existenz wie ihren Inhalt betraf. Lukas kam sich vor, als würde er durch eine von Kafkas surrealen Erzählungen getrieben.
Plötzlich gesellte sich zum Reigen der Vermutungen ein neuer Gedanke: War es möglich, dass die Antwort auf alle Fragen ganz banal war: Rache? Womit konnte man einen Menschen um den Verstand bringen? Mit der Angst um sein Kind! Trieb die van Kampen ein diabolisches Spiel mit dem Leben seiner Familie, um ihn in den Wahnsinn zu treiben? War es ihre Rache für Rom? Plötzlich war sich Lukas dessen sicher. Es machte ihn unbeschreiblich wütend. Aber wie er es drehte und wendete, die van Kampen hielt alle Trümpfe in der Hand. Lukas merkte jetzt, dass er noch immer den Kittel der Gärtnerin trug. Bevor er irgendetwas unternahm, sollte er sich besser etwas anderes anziehen.
Im Bad erschrak er über seinen Anblick. Sein Gesicht war blutverschmiert. Er wusch sich rasch das verkrustete Blut ab.
Danach durchwühlte er Jules' Tasche. Er fand darin ein schwarzes Polohemd, das er sich überstreifte. Mehr Wechselkleidung gab die Tasche nicht her. Unvermittelt gerieten die beiden großen Taschen von Kaschinski in sein Blickfeld. Lukas brauchte nicht lange zu überlegen. Nachdem, was mit Jules geschehen war, würde er über seinen Schatten springen und sich bewaffnen.
Bevor er sich von Waffen aller Art abgewandt hatte, war er in seiner Jugend aktives Mitglied im Schützenverein Nürnberger Land gewesen. Alles konnte er nicht verlernt haben. Tatsächlich fand sich in Kaschinskis Taschen genug, um eine Armee auszurüsten. Lukas verzog das Gesicht. Anscheinend hatte Kaschinski etwas Ähnliches wie den Sturm auf die Bastille geplant. Er zog eine großkalibrige
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