Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
Tage Sonderurlaub. Lasst es krachen, Jungs.“ Er hatte dröhnend gelacht, dazu eine dicke Wolke Zigarrenqualm in den Raum gepafft und war davongerauscht. Ein Wink von ihm und die anderen Agenten waren abgezogen. Der CIA-Mann hatte bereits vor Director Clayton mit hoch erhobenem Kopf die Suite verlassen. Trotzdem hatte sein Abgang etwas von einem geprügelten Hund gehabt.
Die letzten Stunden hatte Rabea als geradezu unwirklich empfunden. Sie war sich wie eine Zuschauerin im Parkett vorgekommen, degradiert und unwichtig, während andere den Preis unter sich ausgemacht hatten.
Nach Director Claytons Abschied hatte sie dann gedacht: Das soll es jetzt gewesen sein? Sie bekam ihr Leben zurück, einfach so? Und genau das war ihr Problem. Es war zu einfach gewesen. Als hätte jeder genau die ihm zugedachte Rolle gespielt. Auch sie. Alles war logisch nachvollziehbar, alles passte, die Rechnung ging auf. Trotzdem glaubte Rabea zu wissen, dass sich in der Gleichung noch ein unbekanntes X verbarg. Irgendetwas hatte sie übersehen. Wo lag die Verbindung? An diesem Punkt ihrer Überlegung hatte sich Jules vor ihr aufgebaut, sie breit angelächelt und gesagt: „Dann gehe ich jetzt Lukas holen. Er wartet unten.“
„Dir spukt die Akte im Kopf rum. Sag, hattest du wirklich vor, sie zu veröffentlichen?“, holte sie Lukas in die unmittelbare Gegenwart zurück.
Rabea schreckte auf. Lukas kannte sie zu gut. Er wusste genau, wenn sie etwas beschäftigte. Verlegen strich sie sich die schulterlangen Haare hinter die Ohren. „Ich weiß, dass du mich für eine journalistische Nervensäge hältst, aber ich bin nicht blöd. Mir ist bewusst, dass die Lage im Irak und in der arabischen Welt insgesamt dafür zu instabil ist.“
„Warum hast du dann dein Leben für die Akte riskiert?“ Der Vorwurf in Lukas' Stimme war unüberhörbar.
„Weil es mir um die Wahrheit ging. Patrick McKenzie sollte nicht umsonst gestorben sein.“
„Wer ist Patrick McKenzie?“
„Ein guter Freund. Er hat mich unterstützt.“
Lukas sah sie an und nickte dann, als hätte er verstanden. „Was hattest du dann mit der Akte vor?“
„Vermutlich wäre ich mit der Akte zu meinem ehemaligen Chefredakteur in Berlin gegangen. Er ist ein vernünftiger Mann und kennt den Regierungssprecher der Kanzlerin seit der Schulzeit. Dieser hätte die Kanzlerin inoffiziell informieren können. Mit der Akte hätte sie ein politisches Druckmittel gegen den US-Präsidenten in der Hand gehabt. Du weißt, wie sehr ich gegen die Beteiligung und Unterstützung Deutschlands für Amerikas Kriege gekämpft habe. Deutschland hätte sich mehr und mehr aus der Allianz mit der USA zurückziehen können und unsere Soldaten zurückholen.“ Rabea stutzte. Etwas, das sie gerade selbst gesagt hatte, hatte einen neuen Gedankengang bei ihr ausgelöst. Die Akte als politisches Druckmittel? Was wäre …
„Rabea?“, sagte Lukas gedehnt. „Was brütest du noch aus?“
Rabea riss sich zusammen, verschob ihre Überlegungen auf später und schenkte Lukas ein entschuldigendes Lächeln. Auf dem Tisch lag der London Chronicle. Sie zeigte darauf. „Ich dachte gerade darüber nach, wie viel unabhängiger Journalismus heute noch wert ist.“
Lukas weitete etwas seine Augen. Er glaubte ihr nicht. Irgendetwas heckte Rabea schon wieder aus. Wollte er das wissen? Nein. Trotzdem ging er auf ihre Bemerkung ein. „Du meinst das gegenseitige Schmarotzertum zwischen Presse und Regierung und die Frage, wer der Wirt und wer der Parasit ist? Nicht zu vergessen, eine tendenziöse Berichterstattung, die entweder das Empörungsbedürfnis der Masse oder deren Spekulationslust bedient?“ Er hatte dies weit heftiger gesagt als beabsichtigt. Er hatte die sensationslüsterne Berichterstattung nach dem Mord an seinem Onkel nie vergessen.
Lukas war schon lange der Meinung, dass die Doktrin des unabhängigen Journalismus viel von ihrem früheren Glanz verloren hatte und sich kommerziellen Zwängen unterwerfen musste. Heute gehörten fast alle Zeitungen und Fernsehsender weltweit agierenden Medienkonzernen. Den Chefredakteuren blieb nichts anderes übrig, als um das goldene Kalb Umsatz und Gewinn zu tanzen. Tatsächlich galt: Je mehr Wirbel eine Information verursachte, umso eher fand sie ihren Weg auf die Titelseite.
Rabea sah Lukas schief an. Lukas sprach einen inneren Konflikt an, den sie selbst gut kannte. Nicht selten hatte der ethisch denkende Mensch Rabea gegen die Journalistin Rabea gekämpft. Wie oft
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