Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
Worte gewechselt. Fonton sprach in der Regel sowieso nur das Nötigste und Jules wirkte ungewöhnlich nachdenklich.
Lukas kam das sehr gelegen. Er hing seiner Begegnung mit Rabea nach. Sie war so anders als sonst gewesen und doch wieder nicht. Die Liebe und die Vertrautheit zwischen ihnen war vom ersten Moment wie früher spürbar da gewesen. Starke, leidenschaftliche Gefühle trieben sie einander in die Arme, nur damit sie anschließend umso leidenschaftlicher miteinander stritten - denn sie hatten noch sehr viel gestritten in dieser Nacht. Über Rabeas Unvernunft, ihre Sturheit, ihren Leichtsinn. Wann waren sie sich je einmal einig gewesen?
Gestern, gestand sich Lukas ein. Oder eigentlich heute Morgen. Sie waren die ganze Nacht aufgeblieben und hatten mit nie geahnter Offenheit über sich, ihre Gefühle und ihr Leben gesprochen. Und am Ende hatten sie sich ehrlich eingestanden, dass sich ihre Ziele und Wünsche, aber vor allem ihr Anspruch an das Leben verschoben hatten.
„Freunde?“, hatte Rabea am Ende beinahe zaghaft gefragt.
Ja, sie waren Freunde! Sie hatten endlich ihren Frieden miteinander gemacht. Nun konnte er sich ganz darauf konzentrieren, seinen Sohn nach Hause zu holen und das Rätsel um Magalis Rolle in dieser Angelegenheit zu ergründen.
Vor Ort erwartete sie eine Überraschung. Eine Limousine stand auf dem Vorfeld bereit. Der Chauffeur begrüßte sie überschwänglich mit „Bienvenido en Barcelona en nome del Señora van Kampen“. Sie hatten nur umsteigen müssen, die Ankunftsformalitäten waren bereits erledigt.
„Netter Service“, meinte Jules und musterte den bulligen Chauffeur, dessen Anzugstoff sich um ausgeprägte Muskeln spannte. Das Schulterhalfter darunter war nicht zu übersehen. Er sollte sich einen besseren Schneider zulegen, dachte Jules und vergewisserte sich, dass seine eigene Waffe griffbereit im Hosenbund steckte. Er warf Fonton einen vielsagenden Blick zu. Dieser nickte. Er hatte die Waffe des Gorillas ebenfalls registriert.
„Sie trainieren wohl viel, oder?“, meinte Jules, während er sich vorn neben ihn setzte. Fonton und Lukas stiegen hinten ein. Fontons Männer würden mit einem Taxi folgen.
„Non comprendo“, brummte der Mann. Jules gab nach einer weiteren Frage zum Wetter („non comprendo“) seinen Versuch auf, eine Konversation mit dem Mann führen zu wollen. Stattdessen sah er aus dem Fenster. Das Fahrzeug war soeben auf die B-22 in Richtung Ronda de Dalt/Tarragona abgebogen. Typisches graues Straßeneinerlei und Industriekomplexe zogen an ihm vorbei.
Auch er war gespannt über die Auflösung des Rätsels um Magali. Er hatte versucht, mehr über sie herauszufinden und Recherchen angestellt. Jeder Mensch hinterließ Spuren, im Leben und im Internet. Es war ungewöhnlich, aber er hatte trotz seiner Routine und Möglichkeiten nichts über sie in Erfahrung bringen können. Magali schien tatsächlich ein vollkommen unbeschriebenes Blatt zu sein. Von Lukas wusste er, wann sie sich in Mallorca begegnet waren, aber er hatte sie auf keiner Passagierliste, soweit überhaupt noch vorhanden, ausmachen können. Nach Mallorca war Magali erneut spurlos von der Bildfläche verschwunden und erst Jahre später in Urnäsch wieder aufgetaucht. Sie hatte dort drei Jahre unter dem Namen Magali Frank gelebt. Wo hatte sie sich in der Zwischenzeit und wo vor Mallorca aufgehalten? Magali hatte stets so getan, als hätte sie ständig in der Schweiz gelebt. Daraufhin hatte er sich auf Matti konzentriert. Es war ihm gelungen, sich eine Geburtsurkunde von Matti zu beschaffen.
Merkwürdigerweise war Matti in Rio de Janeiro geboren worden, als Edoardo de Silva. Brasilien, oder dass sie dort mit Matti gelebt hatte, hatte Magali ihm gegenüber auch kein einziges Mal erwähnt. Magalis Existenz war ein einziges Rätsel. Jules kannte nur zwei Personengattungen, auf die eine solche Vita zutreffen könnte: Entweder auf einen schlafenden Agenten oder eine Person, die in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht war. Letzteres ergab allerdings schon deshalb keinen Sinn, weil Magali durch die Einheirat in die Von-Stetten-Familie in die Öffentlichkeit getreten war. Außer, alle Beteiligten, vor denen Magali hatte geschützt werden müssen, waren inzwischen tot und konnten ihr nichts mehr anhaben. Aber dass Magali eine schlafende Agentin sein sollte, erschien ihm genauso absurd. Magali eine ausländische Spionin, die die Hawk-Serie im Visier hatte? Nein, diesem Gedanken gestattete er nicht,
Weitere Kostenlose Bücher