Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
Skelett, das direkt neben einem Schreibtisch an einem Gestell hing. Es sah aus wie beim Arzt, wären da nicht einige aufgerollte Karten gewesen, die hochkant in der Ecke standen, und das Hindenburgporträt an der Wand. Das Lehrerzimmer der Dorfschule Wielitzken, Rath erinnerte sich jetzt. Die Wolldecke rutschte auf den Dielenboden, als er sich aufsetzte. Die Lesefibel, die er beim Aufwachen gesehen hatte, lag aufgeschlagen auf einem Beistelltisch direkt neben dem Sofa. Rath klappte sie zu und schaute auf den Umschlag. Der fröhliche Anfang. Er meinte sich zu erinnern, vor Jahrzehnten mit einem ganz ähnlichen Buch lesen gelernt zu haben. Manche Dinge schienen sich nie zu ändern.
    Kaffeeduft zog von irgendwoher in den Raum, und Rath stand auf und folgte dem verlockenden Aroma, bis er sich in der Lehrerwohnung wiederfand, wo Karl Rammoser an einem gedeckten Frühstückstisch saß und Zeitung las. Die Treuburger Zeitung . Natürlich.
    »Guten Morgen, Herr Kommissar.« Der Dorflehrer begrüßte ihn ein wenig zu aufgekratzt. »Auch einen Kaffee? Erna hat gerade welchen aufgebrüht.«
    Rath nickte. »Aber erst mal muss ich für kleine Jungs.«
    »Sie wissen ja, wo’s ist.«
    Rath wusste. Es ging über den Hof.
    Erna. Als die Haushälterin gestern das Abendbrot servierte, hatte Rath schon erste Schwierigkeiten mit seinem Gleichgewichtssinn bemerkt. Kein Wunder: Als Aperitif hatten sie ungefähr die halbe Flasche geleert, und Rammosers Birnenschnaps hatte es in sich. »Sie sollten nicht mehr Auto fahren, Herr Kommissar«, hatte der Lehrer gesagt. »Erna kann Ihnen das Sofa im Lehrerzimmer herrichten.« Und das hatte Erna getan. Während Rath nach dem Essen seine Unterhaltung mit dem Dorflehrer fortgesetzt hatte. Nur dass er keinen blassen Schimmer mehr hatte, worüber sie gesprochen haben mochten. Denn auch nach dem Essen hatte die Flasche auf dem Tisch gestanden. Der Abend war ausgeartet zu einem richtiggehenden Besäufnis. Unglaublicherweise verspürte Rath keinerlei Kater; allein die Erinnerungslücken beunruhigten ihn.
    Das Toilettenhäuschen lag am anderen Ende des Schulhofs. Er wusch sich die Hände und schüttete sich anschließend ein bis zwei Liter kaltes Wasser ins Gesicht. Das machte seine Gedanken wieder etwas klarer.
    Als er in die Stube zurückkehrte, stand bereits eine dampfende Kaffeetasse auf dem Tisch. Rath setzte sich und trank vorsichtig. Der Kaffee tat gut. Am liebsten hätte er sich eine Zigarette angezündet, aber mit Rücksicht auf Rammoser griff er erst einmal zum Brotkorb.
    »Ist spät geworden, gestern, was?«
    Rammoser zuckte die Achseln. »Wie man’s nimmt. Aber Sie wollten ja auch ’ne ganze Menge wissen.«
    »Berufskrankheit.«
    Rath zuckte zusammen, als es plötzlich hinter ihm laut gongte. Er drehte sich um und erblickte eine schöne Standuhr. Und dann das Ziffernblatt. Und die Zeiger.
    »Verdammt«, sagte er. »Schon halb neun? Geht Ihre Uhr richtig?«
    »Das hoffe ich doch. Danach wird sich nach den Ferien wieder die Schulklingel richten.«
    »Mist! Ich müsste dringend mal telefonieren.«
    »Ganz Wielitzken hat nur ein einziges Telefon. Und das steht drüben in der Post.«
    Kurz darauf stand Rath in dem kleinen, schattigen Postbüro und wartete. Ein älterer Herr schien ein wichtiges Telefonat zu führen. Jedenfalls zog es sich in die Länge. Und über mehr als eine Telefonkabine verfügte das Postamt nicht.
    Als es nach zwei Minuten immer noch nicht danach aussah, als würde das Gespräch bald beendet, ging Rath zurück zum Schalter. Es zeigte auf das schöne schwarze Bakelitgerät auf dem Schreibtisch und sagte: »Mit diesem Apparat kann man doch bestimmt auch nach draußen telefonieren.«
    »Nicht für Unbefugte«, sagte der Postbeamte.
    »Ich bin befugt«, sagte Rath und zückte seinen Dienstausweis.
    Im Salzburger Hof bekam er das Mädchen an die Strippe.
    »Hella? Hallo!« Wie blöd das klang, fiel ihm erst auf, als er es gesagt hatte. »Kommissar Rath hier von Zimmer einundzwanzig. Ist Kriminalassistent Kowalski vielleicht schon im Haus?«
    »Herr Kowalski wartet schon über eine halbe Stunde auf Sie. Ich wollte Sie wecken, aber Sie waren nicht in Ihrem Zimmer.«
    »Bringen Sie Kowalski doch bitte einen Kaffee und sagen Sie ihm, ich bin in einer Viertelstunde da.«
    Als er zur Schule zurückkehrte, stand Rammoser schon draußen vor dem Schulhaus, eine Ledertasche unterm Arm.
    »Lassen Sie mich raten«, sagte er, »Sie müssen dringend in die Stadt.«
    Rath nickte. »Tut mir

Weitere Kostenlose Bücher