Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
überhaupt wieder in die Zivilisation zu gelangen. Wenn man Masuren denn so nennen konnte. Wo sich aufhört die Kultur, beginnt zu leben der Masur. In seinem jetzigen Zustand wäre Rath schon eine einfache Bauernhütte ohne Strom und fließend Wasser wie das Paradies erschienen. Sogar die Aussicht, von polnischen Grenzbeamten aufgegriffen zu werden, hatte ihren Schrecken verloren. Hauptsache, sie brachten ihn raus aus dieser Wildnis.
    Das Mondlicht war so stark, dass er sehen konnte, wie kleine Tiere vor dem Tritt seiner Füße wegsprangen in alle Himmelsrichtungen. Grashüpfer, glaubte er zuerst, doch er lief nicht über Gras, sondern über weiches Moos, und als er sich hinunterbeugte, erkannte er, dass es kleine, klitzekleine Frösche waren, die vor ihm wegsprangen. Das hatte etwas Beruhigendes, und er stapfte mutig weiter. Ganz so lebensfeindlich war diese Natur hier dann wohl doch nicht. Er fragte sich gerade, ob der Mond wirklich im Osten aufging, als das Moos unter seinen Füßen plötzlich nachgab und er mit dem linken Fuß in etwas Feuchtes, Gluckerndes trat. Ein verdammtes Schlammloch!
    Er musste wieder an ihre Müggelseeodyssee denken. Damals waren sie auch in ein Sumpfgebiet geraten, was ihn einen Schuh gekostet hatte. Nicht noch einmal sollte so ein verdammter Sumpf seinen Schuh fressen! Die Vorstellung, sich womöglich halb barfuß durch diesen nicht enden wollenden Wald kämpfen zu müssen, spornte ihn noch mehr an, den Schuh nicht verloren zu geben. Er durfte den Fuß nur nicht mit zu viel Kraft nach oben ziehen und nicht zu schnell. Er probierte es, vorsichtig, doch hatte er das Gefühl, dass er nur noch tiefer einsank. Er musste sein Gewicht anders verlagern, dann würde es besser gehen, dachte er und machte mit dem rechten Bein einen kleinen Schritt nach vorn. Und erwischte noch ein Schlammloch. Alles hier unter dieser Moosschicht, über die immer noch die Frösche hüpften, schien plötzlich zu schwimmen.
    Er beugte sich nach vorn und versuchte, seinen linken Fuß und den Schuh mit der Hand zu erreichen. Vergeblich. Er merkte nur, wie er immer tiefer einsank.
    Das war mehr als ein dämliches Schlammloch, er war in ein verflixtes Moor geraten. Wie viele Moorgegenden gab es denn hier, verdammt? Denn das war das Einzige, das er mit Sicherheit sagen konnte: Das hier war nicht das Moor, in dem Radlewski hauste, nicht das, zu dem Adamek ihn geführt hatte, die Landschaft hier sah viel idyllischer aus, erinnerte ihn mit ihren Sträuchern und dem Moosteppich an die Wahner Heide, hier standen keine abgestorbenen Bäume, die auf eine lebensfeindliche Umgebung hinwiesen.
    Keine Panik, sagte er sich, legte Unterarme und Hände auf das schwankende Moos und versuchte, Halt zu finden, doch da war nichts, was ihn hielt, der Gras- und Moosteppich schaukelte auf dem Wasser und riss unter seinem Gewicht weg. Das Einzige, was er erreichte, war, dass das Loch, in dem er steckte, immer größer wurde, als habe er sich seinen eigenen kleinen Tümpel gebuddelt. Und je mehr er sich mühte, desto fester und kälter umfasste ihn das Moor und hielt ihn unten.
    Er fürchtete schon, komplett verschluckt zu werden, da fiel ihm ein, was sie einmal gelernt hatten im Naturkundeunterricht. Nein, im Moor lief niemand Gefahr unterzugehen und komplett zu versinken, das verhinderte der Auftrieb; die einzige tödliche Gefahr war die, nicht rechtzeitig entdeckt und befreit zu werden, denn dann würde man nach wenigen Stunden an Unterkühlung sterben.
    Schon jetzt spürte Rath, wie die Kälte sich immer tiefer in seinen Körper fraß, obwohl in der Luft noch die Hitze des Tages zu spüren war. In den Beinen hatte er schon kein Gefühl mehr, hatte Schwierigkeiten, sie zu bewegen. Die Mücken setzten ihm zu, und er verscheuchte sie mit wedelnden Armen, bis er merkte, dass auch diese Bewegungen ihn nur noch tiefer einsinken ließen. Er war auf Gedeih und Verderb auf fremde Hilfe angewiesen und hatte das dumpfe Gefühl, so weit entfernt von der nächsten menschlichen Behausung zu sein wie noch nie in seinem Leben.
    »Hilfe«, rief er, so laut er konnte. »Hilfe!«
    Sein Schrei verhallte in der mondhellen Nacht. Er lauschte, hörte das Rauschen der Baumwipfel im Wind, hörte ein Käuzchen schreien, sonst nichts. Und das Käuzchen hörte sich nicht an wie Kowalski.
    »Hilfe«, rief er noch einmal, und da raschelte etwas am Waldrand. Er drehte den Kopf, um besser sehen zu können. Tatsächlich, da kam ein Schatten aus dem Wald, ein riesiger

Weitere Kostenlose Bücher